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Dem Geheimnis auf der Spur : Der unsichtbare Clown

Lesezeit: 4 min

Ein unmoglicher Film: Jerry Lewis bei den Dreharbeiten zu "The Day the Clown Cried", 1972. (Foto: AFP)

Bis heute kennt so gut wie niemand den Film, den Hollywood-Star Jerry Lewis Anfang der Siebzigerjahre uber einen Komiker im KZ gemacht hat.

Von Fritz Gottler

Das Publikum ist nicht wirklich uberzeugt, als der große Kunstler, der Clown Doork, eine Probe seiner Kunst vor ihm ablegt: "Wenn er Deutschlands großter Clown ist, dann gnade Gott dem Vaterland. Der große Doork! Und dafur kriegst du Geld? Ohne Essen hier zu hausen ist schlimm genug. Aber dass man dann noch so was anschauen muss . . . Du bist nicht der Clown, den ich erlebt habe. Du hast gelogen. Ja, du bist wirklich groß. Ein großer?Lugner."

Helmut Doork, das ist eine Geschichte von Glanz und Elend. Deutschland in den Vierzigern, der einstige Star-Clown hat seine magische Power verloren. Er ist heruntergekommen, hat in seinem Grimm Hitler verspottet, ist verhaftet und ins KZ gesteckt worden. Dort soll er seinen Mitgefangenen noch einmal seine Kunst demonstrieren. Der Komiker Jerry Lewis verkorpert Doork in dem Film "The Day the Clown Cried", den er Anfang der Siebziger drehte. Es ist sein merkwurdigstes, schwierigstes, zweifelhaftestes?Projekt.

Der Regisseur schloss den Film weg und begann allmahlich, sein Sorgenkind zu verleugnen

Der Film wurde nicht fertiggestellt, ist nie in die Kinos gekommen, gilt vielen als der womoglich schlechteste Film der Welt, wird aber dennoch - oder gerade deshalb - von den Cineasten heftigst ersehnt. Ein obskures Objekt cineastischer Begierde? Ein los t film , wie es in der Kinogeschichte Tausende gibt? Eigentlich war der Film nie verloren, Jerry Lewis hat eine Kopie, eine Arbeitskopie, womoglich ein Negativ - die er uns aber alle?vorenthalt.

Nun ist die Erregung um den Film mal wieder hochgekocht, Anfang August schwirrten Meldungen durchs Netz, Jerry habe der Library of Congress in Washington, der Huterin aller amerikanischen Kulturschatze, Kopien seiner Filme verkauft, darunter auch den "Clown". Die Library habe aber zugestimmt, den Film fruhestens in zehn Jahren offentlich zu zeigen. Das klingt, nach den Jahrzehnten der Ungewissheit, nach einem festen Versprechen, einem Date. Als wurde Jerry, der nachsten Marz neunzig wird, mit dem Gedanken spielen, dass er dann womoglich gar nicht mehr unter den Lebenden?weilt?

Anfang der Siebziger, als der "Clown" entstand, hatte die Geschichte des Jerry Lewis Hochstglanz gewonnen. Seit den Funfzigern war er einer der erfolgreichsten amerikanischen Komiker gewesen, anfangs im Zusammenspiel mit Dean Martin, spater dann allein, und schnell hatte er sich dann auch selbst an der Regie versucht - mit sarkastischen Prachtstucken zum American Way of life, "The Nutty Professor" oder "The Ladies' Man" - und war, uber Kritiker-Fans in Frankreich, als veritabler Kino-Autor etabliert. (Im Munchner Leopoldkino lief uber ein Jahr lang eine Jerry-Lewis-Retrospektive, ein Hit bei Studenten und anderen?Intellektuellen.)

Der Clown-Film war ein bizarres Unternehmen von Anfang an. Das Drehbuch stammte von Joan O'Brien und Charles Denton, es ist im Internet zu lesen. Eine eher konventionelle Erlosungsgeschichte, Jerry Lewis hat sie auf seine Persona hin umgeschrieben, den Clown Doork sehr viel sympathischer gemacht. Jammerlichkeit gehort zum Clownsprofil, aber es muss eine glamourose Jammerlichkeit sein. Die des Helmut Doork aber ist, schon vor dem KZ, nur noch schabig und bitter. Sein Clownsgesicht fertigt er selber, aus Kreide und Kohle. Im KZ trifft er eine Gruppe judischer Kinder, die werden sein neues Publikum. Er versucht, die Schrecken des Lagers fur sie zu mildern. Geht am Ende mit ihnen in die?Gaskammer.

Es ist ein unmoglicher Film, die Schrecken des KZ und der Gaskammern lassen sich auf der Leinwand, mit Schauspielkunst und Inszenierung, nicht darstellen - auch durch Steven Spielberg nicht und nicht durch Roberto Benigni. Hat Jerry Lewis dies geahnt, als er den Dreh zu seinem "Clown", fernab von Hollywood, in Schweden, beendete? Naturlich kamen produktionstechnische Probleme dazu, die Finanzierung brach weg, Lewis musste eigenes Geld in das Projekt stecken, die Drehbuchautoren waren sauer uber den neuen sympathischen Clown und meinten, die Option auf ihr Werk ware verfallen. Lewis schloss den Film weg, eine Arbeitskopie, hoffte eine Zeit lang noch auf Fertigstellung (und eine Premiere auf dem Festival in Cannes) und begann dann allmahlich, sein Sorgenkind zu?verleugnen.

Wie wir uns den "Clown" vorzustellen haben, wird bis heute vor allem durch die Aussage des Schauspielers und Synchronsprechers Harry Shearer bestimmt, der ihn Ende der Siebziger sah. Im Magazin Spy orakelte er: "Mit den meisten solchen Dingern ist ja die Erwartung, das Konzept viel besser als das Ding selbst. Aber wenn man diesen Film sieht, das floßt einem wirklich Ehrfurcht ein, schließlich ist man selten in der Gegenwart eines perfekten Objekts. Dies war ein perfektes Objekt. Dieser Film ist so drastisch falsch, sein Pathos und seine Komik sind so wust deplaciert . . . Oh my God, das ist alles, was man sagen kann." Was heißt, der Film ist ein unglaubliches Unikat, zu dem es uberhaupt keine Vergleichsstucke gibt - nicht einmal Chaplins "Der große Diktator" und Lubitschs "To Be or Not to Be", mit denen der Kritiker Jean-Michel Frodon den "Clown" zusammenbrachte, nachdem er den Film 2012 sehen konnte: "Die bizarre Merkwurdigkeit dieses Films ist nicht seine Schwache, sondern seine?Starke."

Von Filmen traumen, die bisher noch nicht gesehen werden konnten, gehort zu den schonsten Momenten im Leben eines Cineasten, und keiner von ihnen wird die Hoffnung je aufgeben . . . Wenn man nur wusste, was der Filmautor Jerry von seinem Werk wirklich halten mag. Nach der Meldung aus der Library of Congress hat er kategorisch bekraftigt: "Er wird niemals zu sehen sein. Niemals. Er wird nie von einem menschlichen Wesen gesehen?werden."

SZ vom 29.08.2015 - Rechte am Artikel konnen Sie hier erwerben.
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