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Ballettmeisterin: 70 Jahre beim selben Arbeitgeber - DER SPIEGEL
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Ballettmeisterin: Der lange Tanz von Georgette Tsinguirides

Foto: Bernd Weissbrod/ dpa

Ballettmeisterin Seit 70 Jahren beim selben Arbeitgeber

Reichsmark, D-Mark, Euro - ihr Gehalt bekam Georgette Tsinguirides schon in drei Wahrungen vom Stuttgarter Ballett, einst als Tanzerin und heute als Choreologin. Seit 1945 nur ein einziger Arbeitgeber: ein wohl einmaliger Rekord.

An ihre erste Gage kann sie sich noch sehr gut erinnern: 2520 Reichsmark. Das war 1945 - kurz nach Kriegsende. Damals trat Georgette Tsinguirides ihren Dienst bei den Wurttembergischen Staatstheatern als "Chortanzerin Anwarterin" an.

Heute steht die Tochter eines griechischen Einwanderers noch immer auf der Gehaltsliste des Stuttgarter Balletts, inzwischen als Choreologin und Ballettmeisterin. So viele Jahrzehnte beim selben Arbeitgeber - das klingt nach einem Rekord. "Es geht immer weiter", sagt die 87 Jahre alte Frau.

Ein 70-jahriges Dienstjubilaum ist selbst gestandenen Gewerkschaftern noch nicht untergekommen. "Da gratuliere ich sehr herzlich", sagt Leni Breymaier, Landeschefin von Ver.di. Sie sieht es aber auch kritisch, dass Tsinguirides noch immer arbeitet: "So etwas ist einmalig. Und bleibt es auch. Hoffentlich." Auch beim Deutschen Gewerkschaftsbund in Berlin hat man so was noch nie gehort.

"Ein Vorbild fur die Tanzer"

Inzwischen tanzt Tsinguirides nur noch selten. Als Choreologin halt sie Tanzschritte in Schrift fest - denn Ballett braucht, wie bei der Musik durch Noten, eine genormte Ausdrucksweise. Tsinguirides galt einst als erste Tanzschrift-Expertin Deutschlands. 2010 wurde sie mit dem Deutschen Tanzpreis ausgezeichnet.

Derzeit fiebert sie auf den 30. April hin, auf die Premiere des Ballettabends "Alles Cranko!". Vier Stucke von John Cranko (1927-1973), dem legendaren Begrunder der Stuttgarter Ballettschule, an einem Abend. Und Georgette Tsinguirides ist einmal mehr federfuhrend furs Einstudieren verantwortlich. Genau das, was sie so liebt: jeden Tag Ballettsaal, jeden Tag voller Elan. Und immer mit hochster Genauigkeit.

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Das Erbe des britischen Choreografen John Cranko am Stuttgarter Ballett ist auf ewig mit Tsinguirides' Namen verbunden. Die geburtige Stuttgarterin garantiert die werkgetreue Auffuhrung der Ballette des Meisters. Mit Generationen von Tanzern hat sie Crankos Werke einstudiert und sagte einmal, es sei wohl "eine Art Berufung, eine Verpflichtung".

Stuttgarts Ballettintendant Reid Anderson, 65, arbeitet seit mehr als 45 Jahren mit Tsinguirides. "Sie war damals schon ein Phanomen und ist es heute noch", sagt der Kanadier. "Mit ihrer Leidenschaft, Disziplin und Hingabe ist sie ein Vorbild fur mich und meine Tanzer." Sie habe Generationen von Tanzern John Crankos Stucke beigebracht - "nicht nur die Schritte, sondern die Intention dahinter, das Gefuhl und den Geist Crankos".

Unter strenger Aufsicht der Hofdame

Nachdem Georgette Tsinguirides fruh ihre Mutter verlor, wuchs sie unter der strengen Obhut ihrer Großmutter Maria Weickh auf, einer Hofdame bei Charlotte von Wurttemberg. Als Siebenjahrige begann sie eine Ausbildung an der Ballettschule des Stuttgarter Theaters. Im November 1945 erhielt sie ihr erstes Engagement, spater wurde sie Solistin.

John Cranko selbst beauftragte sie, seine Choreografien in einer internationalen Tanzschrift aufzuzeichnen und somit fur die Nachwelt zu erhalten. Sie beschreibt ihn als "unglaublich intelligent". Er habe im Tanzer immer "den Menschen gesehen"; ohne Cranko ware sie sicher nicht so lange in Stuttgart geblieben, sagt Tsinguirides.

"Ich kann mich entsinnen", erzahlt Reid Anderson, "dass sie bei jeder Probe neben John Cranko saß - das Bild von John bei der Arbeit war nicht komplett ohne sie." Beide haben ihr Leben dem Tanz gewidmet. "John war auch allein - und einsam manchmal", sagt Georgette Tsinguirides.

In jahrelanger Arbeit dokumentierte sie Crankos Werke und studierte sie ein - nicht nur mit dem Stuttgarter Ballett, sondern weltweit mit mehr als 30 Compagnien. Auf ihre Tanzer lasst sie nichts kommen: "Sie arbeiten so viel und stecken so viel weg", auch Ruckschlage. In der Szene mache man daraus "kein großes Drama".

Roland Bohm, dpa/joe