Biographie
Leibniz:
Gottfried Wilhelm
L.
, geb. in Leipzig am 21. Juni alten Stiles, d. h. 1. Juli neuen Stiles, 1646,
†
am 14. Novbr. 1716, war einer aus Polen stammenden Familie entsprossen, deren Glieder bald Leubnizii bald Lubenieczii hießen; sein Vater nannte sich Leibnutz, er selbst schrieb seinen Namen auf dem Titelblatte seiner Erstlingsschrift (1663) Leibnuzius, auf jenem einer zweiten (1666) Leibnuzius, hierauf spater in lateinischer Form ausnahmslos Leibnitius, in deutscher Form nur einige Male ?Leibnitz“, sonst immer ?Leibniz“. Den Vater, welcher Notar und Professor der Moral war, verlor
L.
schon fruh durch den Tod (September 1652), seine Mutter, welche im Februar 1664 starb, war eine Tochter des Professors der Jurisprudenz, Wilh. Schmuck, beide Eltern hegten und bethatigten eine fromme Gesinnung. Schon in seinen Knabenjahren, in welchen er die Nicolaischule besuchte, zeigte er eine fruhreise hervorragende Begabung, und als er (1654) den Zutritt in die von seinem Vater hinterlassene Bibliothek erkampft hatte, begann er dieselbe planlos zu verschlingen, wobei von ihm aus dem Umkreise der antiken Litteratur hauptsachlich die Prosaiker und unter den Dichtern Virgilius benutzt, aber auch reichlich die Kirchenvater beigezogen wurden; eine Probe seiner Gewandtheit legte er einmal (1659)
dadurch
ab, daß er zum Erstaunen seines Lehrers an Einem Tage 300 lateinische Hexameter anfertigte. Im letzten Jahre der Gymnasialstudien warf er sich mit Eifer auf Logik, besonders auf die Lehre von den Kategorien und von der logischen Eintheilung, wobei ihm im Hinblicke auf die Forderung gewisser Ordnungsfacher aller Begriffe bereits damals die Idee eines ?Alphabetes“ der menschlichen Gedanken auftauchte; desgleichen hatte er schon in dieser fruhen Altersstufe in Folge der Lecture theologischer Controversschriften Anwandlungen zu Versuchen einer Friedensstiftung. Noch nicht 15 Jahre alt ging er zu Ostern 1661 an die Universitat seiner Vaterstadt uber, wo er auf Wunsch seiner Verwandten sich als Jurist inscribirte, aber auch philosophische und mathematische Vorlesungen horte; im Gebiete der Philosophie wirkte auf ihn einflußreich Jakob Thomasius (der Vater des beruhmteren Christian Thomasius), ein anregender Aristoteliker, welcher auch als der erste die damals noch nicht gepflegte Geschichte der Philosophie vertrat. Der jugendliche
L.
versenkte sich nun gleichzeitig in das Studium des Aristoteles und in jenes des Cartesius, wodurch in seiner Seele zwischen diesen beiden Grundanschauungen ein Kampf erwuchs, welchen er einmal auf einem einsamen Spaziergange zu Gunsten des Cartesianismus entschied, d. h. es siegte in ihm vorerst die mechanische Erklarung des naturlichen Universums, und er war hiermit auf den Weg zur Mathematik gewiesen. In ublicher Weise machte er nach zweijahrigem Studium sein philosophisches Baccalaureatsexamen und vertheidigte am 30. Mai 1663 unter dem Vorsitze des Thomasius seine gedruckte
*)
Nur jene Arbeiten Leibniz', bei welchen ich ausdrucklich von ?Druckveroffentlichung“ oder von ?Erscheinen“ u. dgl. spreche, hat er selbst zum Drucke gebracht, alle ubrigen, sowie naturlich die zahlreichen Briefe, sind uns erst durch die verschiedenen Sammelausgaben aus dem in Hannover befinlichen handschriftlichen Nachlasse kund geworden.
?Disputatio metaphysica de principio individui“
, welche mit Leibniz' spaterer Monadenlehre nichts zu schaffen hat, sondern nur ein in der Scholastik unzahligemale besprochenes Thema (das sog.
principium individuationis)
betrifft und sich hiebei auf die Seite der sog. Nominalisten stellt (eine der beigefugten Disputationsthesen spricht die Unechtheit der Briefe des Phalaris aus). Unmittelbar hierauf begab er sich nach Jena, wo er bis zum Herbste 1663 verweilte, um bei dem Mathematiker Erhard Weigel zu horen, welcher excentrische Mann in seiner Wissenschaft durchaus nicht auf der Hohe der Zeit stand, aber alle wissenschaftlichen Gebiete mathematisch zu systematisiren gedachte und als erfinderischer Streber in Projectenmacherei das Moglichste leistete. Zuruckgekehrt nach Leipzig erhielt
L.
am 26. Januar 1664 die philosophische Magisterwurde und zur Disputation behufs der Erlangung aller Rechte eines Magisters (6. Dec. 1664) veroffentlichte er
?Specimen difficultatis in iure seu quaestiones philosophicae ex iure collectae“
, womit als Gegenstuck die Druckschrift
?De conditionibus, specimen certitudinis in iure“
zusammenhangt, welche er am 14. Juli 1665 unter dem Vorsitze Schwerdendorffer's vertheidigte, um das juristische Baccalaureat zu erwerben. Der damals ubliche Weg, in das akademische Lehramt einzutreten, forderte es, daß er in der philosophischen Facultat
?pro loco
disputirte“ (am 7. Marz 1666), wobei er eine
?Disputatio arithmetica, de complexionibus“
schrieb, deren Inhalt die ersten Blatter seiner noch im gleichen Jahre gedruckten
?Dissertatio de arte combinatoria“
bildet. In dieser Schrift nun fuhrte er einen Grundgedanken aus, welcher ihn fortan neben aller verschiedenartigsten Thatigkeit stets beseelte; namlich er beabsichtigt unter ausdrucklicher Anknupfung an Raimundus Lullus und Athanasius Kirch er eine Zuruckfuhrung zusammengesetzter Begriffe auf einfache, welch' letztere durch passende Charaktere auszudrucken seien und in solcher Form durch manigsache Combination und Permutation wieder zur Entdeckung neuer Wahrheiten benutzt werden
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konnen, so daß sich eine
?ars inveniendi et iudicandi“
ergebe und mittelst eines
?filus meditandi“
eine tabellarische Schematisirung aller Wissenschaften ermoglicht sei (so liegen hier Encyclopadie, allgemeine Zeichensprache und, wenn man will, selbst eine erste Veranlassung des spateren Algorithmus bereits im Keime vov); als Anhang fugte er einen mathematischen Beweis fur das Dasein Gottes hinzu. Wahrend er hierauf im Herbste 1666 auch in der juristischen Facultat den Doctorgrad zu erwerben wunschte, glaubte dieselbe, da gleichzeitig mehrere altere Bewerber sich einfanden, ihn als den jungsten zu einem spateren Promotionsacte zuruckstellen zu mussen;
L.
aber nahm dieses berechtigte Verfahren der Facultat in unschoner Empfindlichkeit ubel auf und verließ seine Vaterstadt fur immer. Zunachst begab er sich an die Universitat Altorf, wo er auf Grund einer gedruckten Dissertation
?De casibus perplexis“
(die sog. juristische Logik betreffend) am 5. Novbr. 1666 zum Doctor beider Rechte promovirt wurde und dabei einen so hohen Grad von Kenntnißreichthum und Gewandtheit zeigte, daß man ihm sofort eine außerordentliche Professur anbot. Er lehnte jedoch ab und ging nach Nurnberg, wo er einmal (Anfang 1667) eine Vereinigung des Ordens der Rosenkreuzer traf und durch einen litterarischen Witz, d. h. eine Zusammenstellung unverstandlicher alchymistischer Redensarten, die Stelle eines Secretars dieser Gesellschaft erhielt. Wichtiger aber und entscheidend fur sein ganzes Leben war eine andere Bekanntschaft, durch welche er auch alsbald jener unwurdigen Stellung entrissen wurde. Namlich im Marz 1667 war Joh. Christ. von Boineburg, ehemaliger Minister des Kurfursten von Mainz (s. Allg. d. Biogr. Bd. III, S. 222) nach Nurnberg gekommen; derselbe hatte als Minister im Auftrage seines Herrn eine Vermittelung zwischen Oesterreich und Frankreich angestrebt und war, da er die von letzterer Seite drohende Gefahr durchschaute, schließlich (1664) vom Kurfursten fallen gelassen worden, kehrte auch, obwol bald eine andere Wendung eingetreten war, nicht mehr in die Dienste desselben zuruck, verblieb aber fortan in inniger Beruhrung mit dem mainzer Hofe; außerdem hatte er im Sinne des Kurfursten stets an den Bestrebungen thatigen Antheil genommen, welche damals auf Vereinigung der christlichen Confessionen gerichtet waren (er selbst war 1656 zum Katholicismus ubergetreten). Dieser Mann nun, welcher ein lebhaftes Interesse fur alle geistigen Bewegungen jener Zeit hegte, lernte in Nurnberg zufallig unseren
L.
kennen und durchschaute sofort die hervorragende Begabung desselben, so daß er ihn einlud, mit ihm nach Frankfurt a. M. zu gehen; hiermit aber war fur
L.
die Einfuhrung sowol in gelehrte Kreise als auch in die hohe europaische Politik und in kirchengeschichtliche Fragen angebahnt. Von Frankfurt aus, wo er mit Boineburg noch im Marz 1667 eintraf, ging er einige Monate spater nach Mainz, und um sich beim dortigen Kurfursten (Joh. Philipp v. Schonborn) einzufuhren, widmete er demselben eine Schrift, welche er auf der Reise nach Altorf rasch entworfen hatte, namlich
?Methodus nova discendae docendaeque iurisprudentiae cum subiuncto catalago desidsratorum in iurisprudentia“
(anonym gedruckt 1668). In derselben giebt er der Rechtswissenschaft einen theokratischen Hintergrund, so daß im Hinblicke auf das im Reiche Gottes waltende Recht und Gesetz in der ?allgemeinen“ Jurisprudenz auch die Theologie enthalten sei; die ?besondere“ theilt er in eine positive, eine historische, eine exegetische und eine polemische, und in dem Anhange, in welchem er an Bacon's Schrift
De augmentis scientiarum
anknupft, spricht er den Wunsch aus, daß bei kunftiger Gesetzgebung das einheimische Recht zur Geltung komme, sowie daß das Rechtsstudium uberwiegend auf die Praxis gerichtet werde. Als im folgenden Jahre Boineburg selbst nach Mainz kam, begann fur
L.
eine ausgedehnte und vielseitige Thatigkeit, da er von seinem Gonner in allen moglichen Angelegenheiten in Anspruch genommen
|
wurde. Zunachst wurde er aufgefordert, dem Andreas Lasser, welcher mit einer Verbesserung des romischen Rechtes beauftragt war, an die Hand zu gehen, und so erschien als gemeinschaftliche Arbeit beider ein Druckbogen
?Ratio corporis iuris reconcinnandi“
(1668); sodann verfaßte er fur Boineburg eine Widerlegung der beruhmten von Pufendorf (unter dem Pseudonym Severinus de Monzambano) im J. 1667 veroffentlichten Schrift
De statu imperii germanici;
ferner durch die Abneigung, welche Boineburg gegen Freigeisterei hegte, wurde
L.
(noch 1668) veranlaßt, einen Aufsatz uber das Dasein Gottes zu schreiben (gedruckt 1669 unter dem Titel
?Confessio naturae contra atheistas“
als Anhang zu Th. Spizelius,
De atheismo eradicando)
wobei der Beweisgrund darin liegt, daß den Korpern nur Beweglichkeit zukomme, also als Ursache der wirklichen Bewegung ein unkorperliches Wesen angenommen werden musse, woran sich dann auch ein Kettenschluß fur Unsterblichkeit der Seele anreiht. Der realen Politik gehort ein Gutachten
?De foedere Rhenano“
an, welches
L.
abgab, als (1668) der Kurfurst von Mainz aus Argwohn gegen Ludwig XIV. ein Bundniß mit Trier und Lothringen schloß, aber auf Boineburg's Rath der von Holland, England und Schweden geplanten Tripelallianz fern blieb. Als es sich im September 1668 um die Besetzung des polnischen Thrones handelte, wandte sich auf den Rath des Kurfursten von Brandenburg der Pfalzgraf Philipp Wilhelm von Neuburg als Bewerber um jene Konigswurde an Boineburg, welchem er zugleich antrug, als sein Gesandter zum polnischen Reichstage abzugehen, und da letzterer diesen (bekanntlich erfolglosen) Auftrag annahm, verfaßte fur ihn
L.
unter dem Pseudonym Georgius Ulicovius Lithuanus die Schrift
?Specimen demonstrationum politicarum pro rege Polonorum eligendo“
(auf dem Titel des Druckes steht fingirt
?Vilnae 1659“
, in Wahrheit ist sie gedruckt in Danzig 1669). Unter der vortrefflich durchgefuhrten Maske eines polnischen Edelmanns wendet er sich dabei mittelst einer formlichen Wahrscheinlichkeitsrechnung der Politik zunachst gegen den Prinzen Cond
e
als Candidaten Frankreichs, ebenso aber auch gegen Rußland, und bezeichnet es als das richtige, daß Polen als Vormauer Deutschlands und der Christenheit von einem deutschen Fursten regiert werde. Zur namlichen Zeit hegte er den Wunsch, sich durch ein litterarisches Unternehmen eine selbstandige Stellung zu schaffen, und zu diesem Behufe ging einerseits ein von ihm niedergeschriebener ?Vorschlag, die Direction des deutschen Bucherwesens an Kur-Mainz zu ziehen“, sowie der Entwurf
?De vera ratione reformandi rem literariam“
, auf eine moglichste Centralisation des Buchhandels mit dem ausgesprochenen Hintergedanken einer auf Encyclopadie abzielenden litterarischen Societat, und anderseits knupfte er hieran den Plan einer halbjahrigen Zeitschrift, in welcher alle erscheinenden Druckschriften durch Auszuge oder durch Kritik besprochen werden sollten. Fur diese
?Semestria literaria“
oder
?Nucleus librarius“
bewarb er sich durch eine an Leopold I. gerichtete Bittschrift (1668) um ein kaiserliches Privilegium, wobei er zur Begrundung ein
?Consilium de literis instaurandis condeudaque encyclopaedia“
beifugte. Er betrieb die Sache in Wien auch durch Briefe an den Bibliothekar Lambecius und an Gudenus, sandte sodann 1669 abermals eine Denkschrift
?Nuclei librarii semestralis utilitas, imo necessitas“
an den Kaiser, ja auch Boineburg, welcher sich fur die Angelegenheit interessirte, schrieb an Lambecius und an den Vicekanzler Grafen Konigseck, aber es erfolgte in Wien kein gunstiger Entscheid, und so mußte der ganze Plan aufgegeben werden. Unterdessen trat an
L.
auch wieder eine theologische Aufgabe heran; namlich der freisinnige Kurfurst Karl Ludwig in Mannheim (derselbe, welcher auch dem Spinoza einen Lehrstuhl an der Heidelberger Universitat anbot) hatte den Socinianern, welche durch Konig Johann Kasimir aus Polen verbannt worden waren, seine Zuflucht in Mannheim gewahrt, wohin auch der Prediger derselben,
Wissowatius
, kam, welcher antitrinitarische Schriften veroffentlichte. Und da nun sowohl Boineburg als auch Phil. Jak. Spener, welcher damals von Frankfurt ofter nach Mainz kam, dieser Anorthodoxie entgegenzutreten wunschten, veranlaßten sie
L.
zur Abfassung der Schrift
?Defensio trinitatis per nova repsrta logica s. responsio ad obiectiones Wissowatii“
(gedruckt 1669), worin er eigentlich nur negativ vom logischen Standpunkte aus Fehlschlusse der Gegner aufzudecken suchte. Wahrscheinlich fallen in diese Zeit auch einige kleinere Manuscripte, so zunachst ?Bedenken, welchergestalt den Mangeln des Justizwesens
in theoria
abzuhelfen“, woselbst er vorschlagt, einen ganz kurzen Ueberblick des Rechtes nach Art einer Landkarte zu entwerfen und in einem
Nucleus
die Gesetze in kurzestem Wortlaute zusammenzufassen; ferner ?Von den Privilegien des Erzhauses Oesterreich“ und
?Quanti sit momenti, imperium esse apud domum Austriacam“
, woran wir seinen etwas fruheren Ausspruch knupfen konnen, daß, wenn auch Deutschland keinen Virgilius habe, doch nach Niederwerfung des Erbfeindes sich ein Epos erwarten lasse, welches eine Austriade sein werde. Auch der kleine Aufsatz
?De affectibus“
durfte ohngefahr um diese Zeit geschrieben sein; jedenfalls aber ist aus einem Briefe (April 1669) an Jac. Thomasius, mit welchem er seit seiner Universitatszeit in Correspondenz geblieben war, ersichtlich, daß er bereits sich vom Cartesianismus abgewendet hatte und bei Hinneigung zu Aristoteles auf eigene Gedanken uber den Begriff der Bewegung gerieth. Gegenuber diesem brieflichen Selbstbekenntnisse darf die Abhandlung
?De vita beata“
, welche etwa gleichzeitig sein mag, nicht als Zeugniß fur eine cartesianische Richtung Leibniz' benutzt werden, denn wahrend sie allerdings aus einzelnen Stellen des Descartes zusammengetragen ist, folgt bei Leibniz' haufiger Gewohnheit, zu eigener Belehrung manigsache Auszuge zu machen, aus dem Excerpte noch keineswegs eine Zustimmung. Gegen Ende 1669 veranlaßte ihn Boineburg, eine neue Ausgabe der Schrift des Marius Nizolius,
?De veris principiis et vera ratione philosophandi“
(1553) zu veranstalten, und dieselbe erschien 1670 mit einer
Epistola ad Thomasium
und einer einleitenden
Dissertatio de stilo philosophico Nizolii
(in einer 2. Aufl. 1674 unter dem Titel
Antibarbarus philosophicus)
, worin
L.
als Erfordernisse des philosophischen Stiles uberhaupt Klarheit, Wahrheit und Eleganz bezeichnet und auf die hieraus bezuglichen Vorzuge der deutschen Sprache hinweist. Ein Briefwechsel mit Oldenburg (welcher in London als Consul der Stadt Bremen gelebt hatte, dann aber 1663 Secretar der
Royal Society
gewerden war und bekanntlich in regstem Verkehre mit Spinoza stand) ergab sich dadurch, daß 1669 in den
Philosophical Transactions
zwischen Huygens und Wren ein Streit uber das Princip der Bewegung gefuhrt wurde, woruber um 1670
L.
seine eigene Ansicht mittheilte. In einem der Briefe legte er (1670) auch ein Schreiben an Hobbes bei, worin er das namliche Thema nicht ohne Zustimmung besprach, wahrend er mit ihm bezuglich der Lehre vom Staate nicht einverstanden sein konnte. Auch an Spinoza richtete er im gleichen Jahre einen Brief, welcher jedoch nicht die Philosophie betraf, sondern als
?Notitia opticae promotae“
den Gedanken enthielt, daß mittelst einer neuen Form der Linse ein Fernrohr construirbar sei, welches zugleich als Distanzmesser diene. Etwa um diese Zeit durfte der Aufsatz geschrieben sein: ?Bedenken von Aufrichtung einer Akademie oder Societat in Teutschland zu Aufnahme der Kunste und Wissenschaften“ nebst einem als ?Grundriß eines Bedenkens etc.“ bezeichneten Auszuge; er nimmt dabei den schon betreffs der
Semestria
gefaßten Gedanken wieder auf und fuhrt ihn in deutsch-patriotischer Gesinnung mit theologisirendem irenischen Hintergrunde naher aus. Nachdem
L.
im Juni
1670
durch Boineburg's Vermittelung die Stelle eines Rathes am Ober-Revisions-Collegium zu Mainz (d. h. am hochsten Gerichtshofe des Kurfurstenthums) erhalten hatte,
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wurde er lebhafter in die Politik beigezogen. Indem namlich zwischen den zunachst interessirten rheinischen Hofen eine Meinungsverschiedenheit daruber bestand, ob gegen Ludwig XIV. mehr ein aggressives oder ein zuwartendes Verhalten einzuschlagen sei, traten Mainz und Trier zu einer Conferenz in Schwalbach zusammen (Juli 1670), wozu neben Boineburg auch
L.
eingeladen wurde. Dort verfaßte letzterer in voller Uebereinstimmung mit seinem Gonner in den drei Tagen vom 6. bis 8. August das ?Bedenken, welchergestalt
securitas publica interna et externa et status praesens
im Reich jetzigen Umstanden nach auf festen Fuß zu stellen“, worin er sich gegen einen Eintritt in die Tripelallianz (Holland, England, Schweden) erklart, vorlaufig gutes Vernehmen mit Frankreich empfiehlt, aber zugleich fordert, daß zur Gewahrleistung des westfalischen Friedens die Reichsstande und auch der Kaiser (nicht als solcher, sondern) als Reichsstand in eine ?teutsch-gesinnte Union“ mit wechselndem Directorium zusammentreten sollen, um fur Wohlfahrt zu sorgen und Schaden abzustellen. Und nachdem (25. August) Lothringen von den Franzosen uberfallen worden war, fugte er am 2. November dem ?Bedenken“ einen zweiten Theil hinzu, welcher zunachst sich an Hollands Thatkraft wendet, sodann aber neuerdings das deutsche Schutzbundniß in Form einer ?Partikular-Union“ der bedrohten Reichsstande als unerlaßlich nothwendig erweist, wobei Deutschland als das Hauptglied Europa's und der Kaiser als Anwalt der Christenheit bezeichnet wird, woneben fur Frankreich sehr wohl eine ruhmvolle Aufgabe im Oriente liegen konne. Im Zusammenhange damit stand eine kleinere Denkschrift ?Zur Aufrechthaltung des westphalischen Friedens“ (1670) und im Auftrage des Kurfursten von Mainz zwei Gutachten uber jenen Paragraphen dieses Friedens, welcher mit den Worten
?Et ut eo sincerior“
beginnt (1671); die Allianz aber, welche
L.
empfohlen hatte, kam thatsachlich 1671 zwischen dem Kaiser, Mainz, Trier, Munster und Sachsen zu Stande. Zu Anfang des J. 1671 fuhrte
L.
einmal mit Boineburg, welcher stets ein warmes Interesse fur theologische Fragen bewahrte, ein langeres Gesprach uber das Abendmahl und die hiemit zusammenhangende Spaltung der Confessionen, wobei die irenischen Plane beider mitspielen mußten, und auf Boineburg's Wunsch richtete
L.
hieruber einen sehr ausfuhrlichen Brief an den Jansenisten Anton Arnauld, welcher seit 1668 wieder in Paris lebte.
L.
nimmt dabei an, daß durch die cartesianische Auffassung der Materie als Ausdehnung sowohl der katholische als auch der protestantische Standpunkt in der Abendmahlsfrage verneint werde, und findet seinerseits, daß Bewegung das Wesen des Korpers und auch das Wesen des Denkens ist, welche beide unabhangig von Ausdehnung in der ?Substanz“ punctuell vereinigt sind (erster Keim der Monadenlehre), was, wie er meint, beide Confessionen zugestehen konnten. Unterdessen hatte er seine Auffassung der Bewegung selbst naher ausgefuhrt, wovon er die Grundzuge bereits im December 1670 brieflich an Thomasius mittheilte, und im J. 1671 erschien seine
?Hypothesis physica nova“
in zwei Theilen, deren ersten
?Theoria motus concreti“
er der
Royal Society
, sowie den zweiten
?Theoria motus abstracti“
der Pariser Akademie widmete; der Kern derselben ist, daß Denken und Bewegung die zwei letzten Ursachen alles Seienden sind, und daß in der Korperwelt aus Einer Bewegung alle ubrigen erklart werden mussen, jene Eine aber in der Axendrehung der Erde vorliegt, welche durch einen Weltather als letztes bewegendes Princip hervorgerufen wird; im zweiten Theile beruhrte er auch bereits die Geometrie des Untheilbaren und die Arithmetik des Unendlichen. Den ganzen Inhalt dieser Schrift legte er (1671) auch in einem ausfuhrlichen Briefe an den in Rom lebenden Honoratus Fabri dar, betreffs des Weltathers aber kam er in Correspondenz mit Otto v. Guericke, dem Erfinder der Luftpumpe (s. Allg. d. Biogr. Bd. X, S. 93), welcher fur das
Bestehen
eines leeren Raumes stritt. Aus einem gleichzeitigen Briefe Oldenburg's an
L.
(Mai 1671) geht hervor, daß letzterer allen Ernstes glaubte, das
Perpetuum mobile
erfunden zu haben, wahrend ersterer ihn zur Vorsicht und zur Erkundigung bei Fachmannern mahnte (ubrigens beschaftigten sich damals mit diesem Problem gar manche bedeutende Leute). Im gleichen Jahre begann sein brieflicher Verkehr mit Herzog Johann Friedrich von Braunschweig-Luneburg (s. Allg. d. Biogr. Bd. XIV, S. 178 ff.), an welchen ihn bereits 1669 der danische Resident in Hamburg Habbeus v. Lichtenstern empfohlen hatte.
L.
schrieb (1671) dem Herzog in großter Ausfuhrlichkeit, was er bisher geleistet habe und was er noch zu leisten gedenke; so erwahnt er die
Ars combinatoria
, seine juristischen Arbeiten, den philosophischen Inhalt des Briefes an Arnauld und die damit zusammenhangenden Ergebnisse der
Hypothesis physica
, als kunftige Aufgaben aber bezeichnet er mit einiger Ruhmredigkeit ein Alphabet der menschlichen Gedanken, eine Rechenmaschine, Forderung der Optik durch einen
tubus diopticus
, Erfindungen in Nautik und Hydrostatik, Untersuchungen uber das Naturrecht und naturliche und geoffenbarte Religion zum Zwecke einer Vereinigung der Confessionen, wobei er bemerkt, daß er sich mit einem Werke betitelt
Demonstrationes catholicae
beschaftige (also eine Vorarbeit zum spateren
Systema theologicum))
einen an den Herzog gerichteten Aufsatz
?De libero arbitrio et divina providentia“
schickte er zugleich an alle namhaften Theologen der verschiedenen Bekenntnisse. Als er im Sommer 1671 von einem Ausfluge nach Straßburg, wo er den daselbst studirenden Sohn Boineburg's besucht hatte, nach Mainz zuruckkehrte, nahte fur ihn eine wichtige und reichhaltige Lebensperiode heran. Unter den deutschen Fursten war der Gedanke eines europaischen Krieges gegen die Turken langst nicht neu, und in richtiger Erwagung mußte hiebei Aegypten als der eigentliche Lebensnero der Turkei betrachtet werden; insbesondere aber hegte der Kurfurst von Mainz stets den Plan. Oesterreich und Frankreich zu einem derartigen Zwecke zu vereinigen, jedoch als die Gefahr, welche durch Ludwig XIV. fur Deutschland drohte, immer sichtlicher wurde, erhielt die ursprungliche Idee allmalig die Wendung, daß die Thatigkeit dieses Erbfeindes nach dem Oriente abgelenkt werden solle. In diesem Sinne hatte
L.
sich bereits in dem ?Bedenken, welchergestalt etc.“ geaußert und seitdem auch in Anknupfung an Baco's Schrift
De bello sacro
und selbst an Marino Sanuto's
Secreta fidelium crucis
(geschrieben im J. 1321) dieses Project weiter verfolgt, ja sogar zum Gegenstande eines lateinischen Gedichtes gemacht (December 1670). Somit erschien er als der geeignete Mann, welchem der Kurfurst Johann Philipp im Herbste 1671 den Auftrag ertheilen konnte, eine hierauf bezugliche Denkschrift zu verfassen. Und wahrend in Mainz die Absicht bestanden hatte, daß behufs allgemeiner beruhigender Verhandlungen Boineburg nach Paris gesandt werde, welcher außerdem dort Privatangelegenheiten zu betreiben hoffte, kam man bald zu dem Entschlusse, daß an dessen Stelle
L.
die Mission an den Hof Ludwigs XIV. ubernehme, und der Kurfurst ertheilte demselben gern den nothigen Urlaub. Die Denkschrift hatte den Titel
?Specimen demonstrationis politicae de eo, quod Franciae intersit inpraesentiarum seu de optimo consilio, quod potentissimo regi dari potest“
, und um die personliche Vertretung einzuleiten, stellte
L.
ganz kurz in franzosischer und in lateinischer Sprache die Grunde zusammen, durch welche Frankreich vom Kriege gegen Holland abgemahnt werden sollte, wobei die Expedition nach Aegypten den Hintergrund bildete. Diese kleine zweisprachige Schrift schickte Boineburg, mahrend die Action gegen Holland bereits begonnen hatte, am 20. Januar 1672 an Ludwig XIV. ohne Nennung des Verfassers, und als der Minister Arnaud de Pomponne am 12. Febr. antwortete, daß der Konig weitere Eroffnungen gerne sehen werde, erwiderte Boineburg am 4. Marz daß der Verfasser selbst nach Paris kommen werde. Am 19. Marz reiste
L.
mit
Beglaubigungsschreiben
nach Paris ab, und erst dort vollendete er fur den Fall, daß sein mundlicher Vortrag gute Aufnahme fande, die umfangreiche Hauptschrift
?De expeditione Aegyptiaca, regi Franciae proponenda Leibnitii iusta dissertatio“.
In derselben erortert er zunachst die Stellung Frankreichs in Europa, dann Aegyptens geographische Lage und Bedeutung, wobei auch vom Nutzen eines etwa herzustellenden Suezcanales die Rede ist, hierauf die Befurchtungen, Hoffnungen und Vortheile, welche fur alle einzelnen Staaten Europa's sich aus der Expedition ergeben, endlich den richtigen Zeitpunkt, die Gerechtigkeit und die religiose Begrundung des Unternehmens. Ein Auszug dieser ausfuhrlichen Darlegung war die Schrift
?Consilium Aegyptiacum“
, bestimmt fur Boineburg, welcher veranlaßte, daß der Kurfurst dem in Mainz eingetroffenen franzosischen Gesandten die Sache mittheilte, worauf jedoch nach einiger Zeit vom Minister de Pomponne die Antwort einlief, daß seit Ludwig dem Heiligen die heiligen Kriege nicht mehr Mode seien.
L.
selbst, welcher nicht zu einer Audienz bei Ludwig XIV. gelangte, blieb in Paris thatig fur den agyptischen Plan, mußte aber, wenn ihm auch keine direkte Abweisung zu Theil wurde, bald erfahren, daß man sich nicht naher darauf einließ. (Uebrigens kannte Napoleon I. vor seinem agyptischen Feldzuge den Leibniz’schen Vorschlag nicht, sondern erhielt erst 1803 bei Besetzung Hannovers Kenntniß davon.) Der Pariser Ausenthalt aber, welcher von langerer Dauer war, hatte fur
L.
allmalig weitere Folgen anderer Art. Er kam in personlichen Verkehr mit Ant. Arnauld, Galloys, dem Physiker Papin, dem Reisenden Thevenot, dem Minister Colbert und dessen Bibliothekar Baluze, sowie mit Huet; letzterer lud ihn ein, sich an der von ihm geleiteten Ausgabe der Classiker
in usum Delphini
zu betheiligen, worauf
L.
erklarte, den Petronius und den Marcianus Capella ubernehmen zu wollen und wirklich ans Werk ging, aber bald den Wunsch andeutete, von dieser Aufgabe dispensirt zu werden. Er warf sich namlich jetzt mit Eifer auf Mathematik, in welcher er bei seiner Ankunft in Paris noch sehr geringe Kenntnisse besaß, ja, wie er selbst spater gestand.
?in superba matheseos ignorantia“
sich befand; aber seine hohe Begabung brachte ihn in Balde weiter. Noch 1672 bekam er Kenntniß von Pascal's Rechenmaschine und ersann hierauf eine andere vollkommenere; auch beschaftigte er sich bereits mit der neueren Lehre von den Reihen und deren Summirung. Neben diesen Studien bearbeitete er fur Boineburg (welcher im December 1672 starb) ein Gutachten, daß wahrend des hollandischen Krieges ein Eintritt Brandenburgs in die Action moglichst fernzuhalten sei. Am 11. Januar 1673 ging er mit dem kurmainzischen Gesandten nach London, wo er sofort Oldenburg besuchte und durch denselben veranlaßt wurde, seine Rechenmaschine bei der
Royal Society
vorzulegen (ein Exemplar dieser Maschine, welches 1876 in der Modellkammer der Gottinger Universitat gefunden wurde, ist seit 1880 in Hannover); auch traf er dort mit dem Mathematiker Pell zusammen, welcher ihn auf Schriften Mouton's und Mercator's hinwies, gegen deren ersteren er die Selbstandigkeit einer bereits gewonnenen eigenen Ansicht betonen konnte. Daß er bei diesem Londoner Aufenthalte nicht mit Collins bekannt wurde, welcher in Newton's Arbeiten eingeweiht war, geht aus einem Briefe Oldenburg's (vom 6. April 1673) hervor. Anfangs Marz nach Paris zuruckgekehrt, erfuhr er, daß der Nachfolger des am 12. Febr. verstorbenen Kurfursten von Mainz ihm noch weiteren Urlaub gestattete, und somit verblieb er in Paris, obwol seine außeren Verhaltnisse eben nicht die gunstigsten waren, denn er mußte seinen Lebensunterhalt dadurch erwerben, daß er fur hoher gestellte Personen Eingaben, Gutachten u. dgl. verfaßte. Doch gab er einer durch Habbeus v. Lichtenstern vermittelten Einladung, eine Secretarstelle beim danischen Minister Grafen Guldenlow anzutreten, keine Folge, und auch als Herzog Johann
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Friedrich von Braunschweig-Luneburg einen Brief, in welchem
L.
(26. Marz) seine Bemuhungen fur den agyptischen Plan darlegte, durch das Angebot einer Stellung am hannoverschen Hofe beantwortete (15. April), scheint
L.
vorerst noch andere Plane gehegt zu haben, wenigstens erkundigte er sich im Juli vertraulich, ob er nicht als Historiograph nach Wien kommen konne. In Paris interessirte er sich eifrigst auch um die Gewerbe und Kunste, beschaftigte sich mit mechanischen, physikalischen, nautischen Problemen verschiedener Art, faßte einmal auch den Plan,
Elementa iuris naturalis
zu schreiben, warf sich aber, was die Hauptsache war, nunmehr grundlichst auf die hohere Mathematik. Nachdem er durch Oldenburg's Einfluß (9. April 1673) zum Mitgliede der
Royal Society
ernannt worden war, machte er die Bekanntschaft des Christian Huygens, welcher als großte Autoritat der Mathematik durch Colbert (1666) an die Pariser Akademie berufen worden war (s. Allg. d. Biogr. Bd. XIII, S. 481). Es war damals in Anknupfung an die Schriften des Archimedes und des Apollonius, sowie an Descartes' analytische Geometrie, bei welcher die Curven noch in geometrische und mechanische getheilt waren, in Frankreich und England eine reichhaltige Litteratur uber mehrere schwierige Probleme entstanden, woran sich Pascal, Fermat, De Sluze, Cavalieri, Honor. Fabri, Mercator, Huygens, Gregorius a Vincentio, Wallis, Barrow betheiligten. Der hauptsachliche Kern lag in dem sog. Tangenten-Probleme (sowohl dem directen als dem umgekehrten), sowie in der Quadratur der Curven und der Cubatur der krummen Flachen, womit nun auch
L.
sich beschaftigte, indem er die Mehrzahl dieser genannten Autoren studirte und dabei zugleich seine eigenen Wege zu gehen begann. Schon im August 1673 war er in einer
?Methodus nova investigandi tangentes linearum curvarum“
darauf gekommen, daß das umgekehrte Tangentenproblem sich auf Quadratur, d. h. auf Summationen, zuruckfuhre, und in emsiger Verfolgung dieses Gedankens konnte er (15. Juli 1674) an Oldenburg schreiben, daß er eine Zahlenreihe fur die Quadratur des Kreises gefunden habe; nachdem er (October) zwei Aufsatze, namlich
?Schediasma de methodo tangentium inversa“
und
?Schediasma de serierum summis“
niedergeschrieben, machte er (26. Octbr.) abermals Mittheilungen seiner mathematischen Plane an Oldenburg, worauf dieser (8. Decbr.) antwortete, daß Newton ahnliches fur alle Curven gefunden habe. Neben diesen Studien mußte er (1674) auf Verlangen des Herzogs Ludwig von Mecklenburg, welcher eine Scheidung seiner zweiten Ehe und Wiederanerkennung seiner getrennten ersten Ehe anstrebte, ein Rechtsgutachten ausarbeiten:
?De matrimoniorum principum Germaniae protestantium in gradibus solo canonico iure prohibitis contractorum validitate";
auch verfaßte er (1674) unter dem Namen
?Sempersibisimilis“
eine Denkschrift uber die durch osterreichische Soldaten erfolgte Gefangennahme des Straßburger Bischofs Wilhelm Egon von Furstenberg (s. Allg. d. Biogr. Bd. VII, S. 301) sowie einen Aufsatz
?Des affaires de Suede“
(wenn man ihm auch noch drei gedruckte anonyme Flugschriften dieses Jahres zuschreiben wollte, so durfte wenigstens die bloße Vermutthung nicht wie geschichtliche Thatsachen verwerthet werden). Das folgende Jahr aber sollte fur seine mathematischen Verdienste entscheidend werden. Wenig bestimmtes wohl ist aus einem Blatte, betitelt
?Geometria amonior“
zu entnehmen, welches den Plan eines weitgreifenden Werkes enthalt (April 1675); auch sind wir nicht ausfuhrlich unterrichtet uber die Arbeiten, welche er gemeinschaftlich mit Tschirnhaus machte, der im September von London, wo er mit Oldenburg und Collins verkehrt hatte, nach Paris kam. Aber die Hauptsache ist, daß er in einem Manuscripte vom 29. Octbr. 1675 zum ersten Male die noch jetzt ublichen Integral- und Differerential-Zeichen verwendet, wobei er die blos angedeutete Integral-Rechnung noch
calculus summatorius
nennt (daher ∫ =
summa)
, die
Differentialrechnung
aber naher ausfuhrte; alsbald (11. Novbr.) folgte eine Anwendung seines Verfahrens auf das umgekehrte Tangentenproblem mittelst gleicher Bezeichnung, namlich
?Methodi tangentium inversae exempla“
, und am 21. Novbr. fand er eine Differentialformel, deren Gultigkeit fur alle Curven ihm sofort einleuchtete, so daß er selbst die Worte beifugte
?ecce elegantissimum specimen“
, etwas spater (26. Juni 1676) bearbeitete er auch das directe Tangenten-Problem in
?Nova methodus tangentium“.
Schon am 26. Marz 1676 sprach er sich klar uber die weitgreifende Bedeutung der von ihm gewahlten Zeichen aus und erkannte seinen Algorithmus richtig als eine neue Operationsbasis, denn derselbe war in der That das gemeinsame verallgemeinernde Band fur die bisherigen Einzelnleistungen anderer Mathematiker und zugleich der Anfang aller folgenden Entwickelung der hoheren Analysis. Am 26. Juli erhielt er durch Oldenburg abschriftlich einen Brief Newton's (vom 23. Juni), worin dieser mittheilte, daß er eine einheitliche Losungsmethode verschiedener Probleme besitze, worauf
L.
(27. August) an Oldenburg antwortete, daß er seinerseits eine andere Methode auf Grund des unendlich kleinen anwende. Das letzte Manuscript welches er in Paris verfaßte, war
?De quadratura arithmetica circuli, ellipseos et hyperbolae“.
Er hatte bereits am 21. Januar 1675 an das oben erwahnte Angebot angeknupft, welches ihm von Herzog Johann Friedrich (April 1673) gemacht worden war; aber die Verhandlungen zogen sich so in die Lange, daß
L.
wiederholt an den einflußreichen Abbe Galloys und selbst an den Minister Colbert sich wandte, um Mitglied der Pariser Akademie zu werden oder sonst eine bleibende Stellung zu erlangen; und im October 1675 schrieb er an einen Verwandten (Aeg. Strauch in Gießen) uber eine kaufliche Stelle in Paris, zu deren Erwerbung er 500 Thlr. nothig habe, doch ein Geschenk des genannten Herzogs uberhob ihn dieser Bemuhung. Endlich erhielt er von letzterem den formellen Ruf (September 1676) als Vorstand der herzoglichen Bibliothek und in freier sonstiger Thatigkeit mit dem Titel eines Hofrathes und einer Besoldung von 600 Thlr. nach Hannover umzusiedeln. Im October trat er die Reise an, aber uber England und Holland. In London kam er jetzt mit Collins zusammen, welcher ihm die Einsicht in einen Theil seiner Correspondenz gestattete; und wahrscheinlich ist damals das Manuscript
?Excerpta ex tractatu Newtoni manuscripto de analysi“
entstanden; gewiß hingegen ist, daß Newton am 24. Octbr. einen fur
L.
bestimmten Brief an Oldenburg richtete, worin er Mittheilungen uber die Entstehung seiner eigenen Methode machte und dieselbe durch ein Anagramm des Satzes
?data aequatione quotcunque fluentes quantitates involvente fluxiones invenire et vice versa“
andeutete (also nach Umfluß eines Jahres, nachdem der Algorithmus von
L.
gefunden war). Auf dem Schiffe, welches ihn von England nach Holland fuhrte (Ende October) schrieb er
("Pacidius Philalethes seu prima de motu philosophia“
, worin er den Begriff einer continuirlichen Schopfung erorterte; in Amsterdam wurde er durch eine Besprechung mit Hudde veranlaßt, in einem Aufsatze
?Calculus tangentium differentialis“
die Grundzuge der Differentialrechnung zu entwickeln, woran er die Angabe knupfte, daß er auch die Beruhrungsebenen krummer Flachen mittelst seiner Methode finden konne. Im Haag besuchte er Spinoza, mit welchem er Gesprache uber die Grundsatze der Philosophie fuhrte, dabei aber einen so abstoßenden Eindruck empfing, daß er in einem Briefe an Galloys sich nahezu wegwerfend uber Spinoza's Ansichten außerte; endlich in Delft suchte er Leeuwenhok, den Entdecker der Samenthierchen, auf.
Gegen Ende December 1676 traf
L.
in seinem neuen Bestimmungsorte ein, wo er sogleich wieder mit verschiedenartigsten Dingen sich beschaftigte; er schrieb (Januar 1677)
?Explication sominaire de l'Apocalypse“
, setzte brieflich
|
an Hocher in Wien den Gedanken eines neuen Gesetzbuches auseinander, welches
Codex Leopoldinus
heißen solle, und als Joh. Dan. Kraft, welcher dem Entdecker des Phosphors. Brand in Hamburg (s. Allg. d. Biogr., Bd. III, S. 236), das Geheimniß abgekauft hatte und mit Joh. Kunkel ausbeutete, im J. 1677 nach Hannover kam, verschaffte ihm
L.
eine Pension und verfaßte seine
?Historia inventionis phosphori“
(gedruckt 1710). Nachdem er durch Oldenburg wieder Abschrift eines Briefes Newton's empfangen hatte, theilte er letzterem (11. Juni 1677) seine Methode betreffs des Tangentenproblems, jedoch ohne Erwahnung des Algorithmus, mit und fugte bei, es werde wol kein großer Unterschied von jenem sich zeigen, was Newton geheimnißvoll angedeutet hatte; vom 11. Juli hierauf ist das Manuscript, datirt
?Methode generale pour mener les touchantes des lignes courbes“
und etwas spater fallt
?Nova algebrae promotio“
, den ersten Keim der Determinanten enthaltend. Daneben wurde er in eine Frage des deutschen Staatsrechtes beigezogen, indem eine Meinungsverschiedenheit uber Stellung und Titel jener Minister entstanden war, welche von den deutschen Fursten zu dem Congreß in Nimwegen (1676?1679) abgesandt wurden; Frankreich schurte den Partikularistischen Ehrgeiz und der franzosisch gesinnte Herzog Johann Friedrich welcher seinen Delegirten als einen ?hohen Gesandten“ anerkannt wissen wollte, veranlaßte
L.
, unter dem Pseudonym
?Caesarinus Fuerstenerius, De iure suprematus ac legationis principum Germaniae“
zu schreiben (1677 s. binnen Jahresfrist sechsmal gedruckt). Er sucht dabei jenes Bestreben durch Grunde zu rechtfertigen und uberhaupt grundsatzlich die kaiserliche Oberhoheit mit der Einzelnsouveranitat zu vereinbaren, da der Reichsstand nicht dem Kaiser, sondern dem Reiche, d. h. aber eben den Reichstagen und vereinigten Reichsstanden, und somit wieder sich selbst unterworfen sei. Ein Auszug aus dieser Schrift ist:
?Entretiens de Philarete et d'Eugene sur la question du temps agitee e Nimwegue touchant le droit d'ambassade des electeurs et princes de l'empire“
(1677 in zwei Auflagen), und als Erganzung ist das Manuscript
?De libero territario“
zu betrachten, sowie
?Germani curiosi adenonitiones ad monita collegio electorali falso adscripta“.
Außerdem fallen in diese Zeit die ersten Arbeiten betreffs einer allgemeinen Zeichensprache, welche er durchaus nicht fur ein unausfuhrbares Ideal hielt, sondern seit den ersten Andeutungen (in der
Ars comdinatoria
1666) auch in spateren Jahren immer wieder durch mannigfache Auffatze der Verwirklichung naher zu bringen versuchte. Der Gedanke Leibniz' stand damals durchaus nicht allein, sondern gerade in den Sechziger Jahren waren vier Werke erschienen, welche derselbe kannte und benutzte, namlich: Joh. Joach. Becher,
Character pro notitia linguarum universali
, 1661 (s. Allg. D. Biogr., Bd. II, S. 201), Georg Dalgarn,
Ars signorum v. character universalis et lingua philosophica
, 1661, Athan. Kircher,
Polygraphia nova
, 1663 (s. ebenda Bd. XVI, S. 1 f.), John Wilkins,
Essay toward a real character and a philosophical language
, 1668, und zu Dalgarn und Wilkins hatte
L.
schriftliche Randbemerkungen gemacht. Sein Grundsatz bestand darin, daß, wie im Handelsverkehre haufig nicht mit Geld, sondern durch Zettel. Checks oder Marken bezahlt werde, ebenso in der Wissenschaft richtig gewahlte ?Charaktere“ oder Zeichen einzufuhren seien, welche von jedem Gebildeten, abgesehen von aller Sprachenverschiedenheit, verstanden werden konnten und zugleich zu Rechnungsoperationen wie algebraische Zeichen zu verwenden seien
("calculus ratiocinator")
, so daß jeder Streit kunftig durch Rechnung entschieden werde. In solchem Sinne schrieb er (1677):
?Dialogus de connexione inter res et verba et veritatis realitate“
und arbeitete (1678) an einem
?Calculus philosophicus“
, sowie (1679) an einer
?Characteristica geometrica seu Analysis situs“
, welche er an Huygens schickte. Zugleich begann in Hannover die Correspondenz Leibniz' sich zu
erweitern
, welche ja spater eine staunenswerthe Ausdehnung erhielt. Zunachst war es um diese Zeit der Cartesianismus und insbesondere der cartesische Beweis fur das Dasein Gottes, woruber er an Arnold Eckhard, Professor der Mathematik in Rinteln, mit welchem er durch den Abt von Loccum Molanus bekannt geworden war, mehrere Briefe richtete, desgleichen an den kursachsischen Residenten in Hamburg, Chr. Philipp, sowie an Malebranche in Paris und wieder uber des letzteren
Recherches de la verite
an Simon Foucher in Paris; auch ein Schreiben an den Polyhistor Conring (s. Allg. D. Biogr. Bd. IV, S. 446 ff.) betraf denselben Gegenstand, der Briefwechsel aber mit ihm wurde bald abgebrochen, da derselbe in der Philosophie ein Reactionar war; theologischen Meinungsaustausch hegte
L.
auch mit Ludwig v. Seckendorf, mit Tschirnhaus aber besprach er brieflich die hohere Analysis, ohne gerade volle Zustimmung zu finden. Im J. 1678 wurde er Geheimer Justizrath und als solcher Mitglied der Kanzlei fur Justizsachen, deren Vorstand der Vicekanzler Ludolph Hugo (s. Allg. D. Biogr. Bd. XIII, S. 329) war, und vielleicht durfen wir es einem Einflusse Leibniz' zuschreiben, daß in den welfischen Territorien die Hexenprocesse abgeschafft wurden. In einem Aufsatze
?De republica“
(1678) erorterte er die nationalokonomische Seite des Staates, und das ihm zugekommene Exemplar von Spinoza's
Ethica
versah er mit kritisch ablehnenden und tadelnden Bemerkungen. Wahrscheinlich in das Jahr 1679 fallt ?Ermahnung an die Teutschen, ihren Verstand und Sprache besser zu uben, nebst Vorschlag einer teutsch gesinnten Gesellschaft“, womit die zwei Manuscripte zusammenhangen
?De fundatione ad scientiam provehendam instituenda“
und
?Consultatio de naturae cognitione ad vitae usus promovenda instituendaque in eam rem societate Germana";
auch an Ludwig XIV. richtete er zwei Denkschriften
?Preceptes pour avancer les sciences“
und
?Discours touchant la methode de la osrtitude et, l'art d'inventer";
es mochte ihm namlich die Zeit nach dem Abschlusse des Nimweger Friedens (1679) als passend erscheinen, um in Deutschland und Frankreich Plane zu verwirklichen, auf welche er auch spater immer wieder zuruckkam. Zur selben Zeit wurde er durch die vom Herzoge gewunschte Verbesserung der Silberbergwerke im Harz nicht blos zur Erfindung einer Maschine behufs Beseitigung der Grubenwasser, sondern auch zu mineralogischen und geognostischen Studien gefuhrt, an welche er alsbald Untersuchungen uber das Munzwesen knupfte, von wo er wieder gelegentlich zu dem fur jene Zeit beachtenswerthen Ausspruche gelangte, daß die Staatswirthschaft der weitaus wichtigste Theil der Wissenschaft vom Staate sei. Als am 28. December 1679 Herzog Johann Friedrich auf der Reise in Augsburg unerwartet gestorben war, verfaßte
L.
fur die Leichenfeier die ?Personalia“ (gedruckt 1685) und ein Gedicht
?Epicedium in obitum Johannis Friderici“
, sowie ein franzosisches Gedicht an die Thronfolgerin. Noch im letzten Lebensjahre des eigenthumlich gearteten Fursten, welcher bereits 1651 zur katholischen Confession ubergetreten war, fingen irenische Bestrebungen an, festere Gestalt zu erlangen, indem der von Bossuet's Plan, die Akatholiken zur Ruckkehr zu bringen, begeisterte Spinola auf seinen Rundreisen 1679 nach Hannover gekommen war;
L.
griff den von Bossuet (1678) begonnenen Briefwechsel jetzt lebhaft auf, richtete nach Wien eine
?Relation pour la cour imperiale“
und schrieb auch an Huet, welcher mit einem Bekehrungsversuche antwortete; durch den Tod des Herzogs aber kam die Sache vorerst auf kurzere Zeit wieder ins Stocken. Dem neuen Regenten Herzog Ernst August (s. Allg. D. Biogr. Bd. VI, S. 261 f.) stand
L.
anfangs personlich nicht so nahe und in dem Gefuhle, daß es ihm uberhaupt in Hannover zu eng sei, blickte er nach Wien, wo er nach dem eben eingetretenen Tode des Lambecius Vorstand der Bibliothek oder etwa Historiograph oder kaiserlicher Rath zu werden wunschte;
|
einen Antrag jedoch (Januar 1680), in danische Dienste zu treten, lehnte er ab. Im April aber erhielt er vom Herzoge den Auftrag, die Geschichte des welfischen Hauses zu schreiben und besonders die Genealogie desselben zu erforschen, und bald ergab sich eine nahere Verbindung mit dem Hofe, indem er verschiedene Vorschlage, namlich
?Repraesentanda“
(d. h. uber die Lucken der hannoverischen Bibliothek und die Nothwendigkeit einer Kunstkammer) und ?Von nutzlicher Einrichtung eines Archivi“, auch uber Forderung der Chemie und uber Munzwesen ausarbeitete, hauptsachlich aber dadurch, daß er mit der Gemahlin des Herzogs, Sophie (Tochter Friedrichs von der Pfalz, Mutter der nachmaligen Konigin von Preußen Sophie Charlotte) in dauernden personlichen und brieflichen Verkehr trat, wobei zumeist philosophische und theologische Gegenstande besprochen wurden. Auch verfaßte er (1682) Denkschriften und Gutachten uber das vom Herzoge beabsichtigte Primogeniturstatut, welches dann auch vom Kaiser bestatigt (Juli 1683) und nicht ohne Kampfe im welfischen Hause durchgefuhrt wurde. Unterdessen waren die Wogen der europaischen Politik sowie der Kriegsereignisse hoch gegangen, und
L.
, welcher mit dem deutsch gesinnten Ernst August sich in voller Uebereinstimmung befand, schrieb uber die rauberische Einnahme Straßburgs (1681) mehrere Aufsatze, z. B. auch ein poetisches
?Epitaphium Argentinae“
, sowie bezuglich der etwas angstlichen Vorsicht Brandenburgs eine kleine Abhandlung
?Sur les plaintes de Brandenbourg“
(1682). Die zur gleichen Zeit von Osten heransturmende Gefahr besprach er in den Manuscripten
?Anti-Turcica“
und
?Quelques reflexions sur la presente gusrre de Hongrie“
, und als am 14. Juli 1683 die Belagerung Wiens durch die Turken begann, verfaßte er außer einer, kleinen Schrift ?Ueber den Entsatz von Wien“ seinen beruhmten
?Mars Christianissimus auctore Germano Gallo-Graeco“
zunachst lateinisch welchen er mit Genehmigung des Herzogs in franzosischer Uebersetzung mit Belassung des lateinischen Titels, jedoch unter der Beifugung
?ou Apologie des armes du Roy tres chretien contre les chretiens“
durch den Druck veroffentlichte (1684, die 1685 erschienene deutsche Uebersetzung ?Der allerchristlichste Mars“ ist nicht von ihm selbst gefertigt); im Hinblicke auf die Gefahr, daß Ludwig XIV. sich mit den Turken vereinige, entwickelt er in Form der Ironie eine Vertheidigung der Franzosenfreunde, da ein solcher Konig, welcher bei all seinen Waffenthaten die erhabensten Ziele civilisatorischer Aufgaben verfolge, sich wie ein Statthalter Gottes uber alle Rechtsgrunde hinwegsetzen durfe und ein neues Volker- und Staatsrecht aufstellen musse. Wahrend langdauernde Verhandlungen der deutschen Fursten mit Frankreich uber einen Waffenstillstand stattfanden, welcher endlich im August 1684 auf 20 Jahre geschlossen wurde, schrieb er
?Raisons de part et d'autre touchant la guerre ou l'accommodement avec la France“
und denselben Gegenstand in ausfuhrlicherer Darlegung behandelnd
?Consultation touchant la guerre ou l'accommodement avec la France“
, wobei er aus Opportunitatsgrunden, um zu retten, was moglich ist, sich fur den Abschluß einer Vereinbarung erklarte; in die gleiche Zeit fallt die Satire ?Das L'hombre-Spiel der Fursten“. Neben diesen politischen Arbeiten hatte er eine kleine Abhandlung
?Num dentur territoria clausa“
und (1683) eine Schrift verfaßt, in welcher er eine Anwendung der mathematischen Lehre von den Reihen auf Kapitalien und deren Werthe gab, namlich
?Meditatio iuridico-mathematica de interusurio simplici“.
Außerdem beschaftigte ihn um diese Zeit der Gedanke ?Staatstafeln“ zu entwerfen, d. h. eine graphische Uebersicht aller fur einen Regenten wichtigen Dinge und Verhaltnisse, womit neben der inhaltsreichen Darlegung
?Remarques sur un libre intitule: Nouveaux interests des princes de l'Europe“
auch die Schriften
?Essay de quelques raisonnements nouveaux sur la vie humaine“
und
?Quaestiones calculi politici circa hominum vitain“
, sowie Aufsatze uber
Registratur
und Medicinalwesen zusammenhingen; gewiß beachtenswerth ist, daß ihm dabei die damals kaum noch in Keimform bestehende Wissenschaft der Statistik vorschwebte. Zu all diesen verschiedenen Arbeiten war aber auch wieder die Beschaftigung mit religiosen Reunionsplanen gekommen, seitdem (1683) Spinola abermals in Hannover eingetroffen war und Molanus am dortigen Hofe ofters verkehrte, wo der Herzog Ernst August der lutherischen und dessen Gemahlin Sophie der reformirten Confession angehorten. Der Reunion im Sinne Spinola's waren der Kaiser Leopold und der Papst Innocenz XI. geneigt, sogar mit Einschluß des Gedankens an ein allgemeines Concil, an welchem auch die Akatholiken theilnehmen sollten; in anderer Weise mehr nach dem Plane Bossuet's dachte sich Ludwig XIV. die Sache, und Ernst August betrieb die Angelegenheit im Allgemeinen darum lebhaft, weil er so betreffs der von ihm langst angestrebten Kurwurde die moglichen confessionellen Einwande zu beseitigen hoffte.
L.
selbst, welcher stets irenische Gedanken gehegt hatte, bezeichnete seinen personlichen Standpunkt in mehreren Briefen an den Landgrafen Ernst von Hessen-Rheinfels (s. Allg. D. Biogr. Bd. VI, S. 285), welcher zum Katholicismus ubergetreten war und auch ihn zum gleichen Schritte uberreden wollte; er schrieb namlich an denselben, daß er in die außere Communion der katholischen Kirche unmoglich eintreten konne, ohne mit sich selbst in Widerspruch zu kommen, wol aber sich der inneren Communion versichert glaube, etwa ebenso wie jene, welche durch einen ungerechten Spruch excommunicirt wurden. Mag er hierbei einer wie immer gearteten speculativen Idee sich hingegeben haben, so hatte er jedenfalls die Aufgabe, im Dienste seines herzoglichen Herrn in der Angelegenheit thatig zu sein; er nahm den Briefwechsel mit Bossuet wieder auf und entwarf (Marz 1683) eine
?Methodus unionis“
, verfaßte hierauf (December)
?Regulas circa Christianorum omnium unionem“
(dies spater gedruckt 1691), dann 1684 den Aufsatz
?Des methodes de reunion“
, sowie gleichzeitig ?Anmerkungen uber einen Discurs, so 1683 aufgesetzt worden, dessen Titel ?Kurioser Staatsmercurius“, worin er die protestantisch confessionellen Einwande bekampfte, welche gegen den Kaiser erhoben worden. Auch hegte er schon 1684 den Plan, anonym eine Exposition des Glaubens zu verfassen, welche mehreren Bischofen und eventuell auch dem Papste vorgelegt werden solle, worauf sich jedoch der Herzog nicht einließ; aber
L.
verfolgte seinerseits fur sich den Gedanken weiter in einer kleineren Schrift
?Projet pour finir les controverses de religion“
und bald darauf (1686) in einem ausfuhrlicheren Manuscripte
?Systema theologicum“
, worin er unter der Maske eines Katholiken, welcher die Protestanten zu seiner Confession hinuberziehen will, in der That ein Gebaude einer verbesserten Glaubenslehre aufzustellen versucht, welches einer ?naturlichen Religion“ naher trate und schließlich auf eine ?moralische Gewißheit“ sich stutzen konnte. Unterdessen hatte er in den von Mencke (1682) gegrundeten
?Acta eruditorum“
(bekanntlich der ersten wissenschaftlichen Zeitschrift Deutschlands nach dem Vorbilde des im J. 1666 begonnenen
Journal des Savans)
im Mai 1684 einen Aufsatz
?De dimensionibus figurarum inveniendis“
veroffentlicht, welchen der von Paris zuruckgekehrte Tschirnhaus fur sich beanspruchte, sowie
L.
seinerseits manches, was jener ebendort zum Drucke gebracht hatte, als sein geistiges Eigenthum reclamirte; der uber solchen Prioritatsstreit entstandene Bruch wurde durch den Herausgeber Mencke im Juli wieder vermittelt,
L.
aber gab, um weiteren Publikationen fruherer mit Tschirnhaus gemeinschaftlich gemachter Arbeiten zuvorzukommen, im October 1684 ebendaselbst seine
?Nova methodus pro maximis et minimis“
heraus, womit er zum ersten Male seine denkwurdige, bereits vor neun Jahren gefundene Methode der hoheren Analysis zur Oeffentlichkeit brachte, wenn auch in einer sehr abstracten Form und nur auf Differentialrechnung, nicht aber auf Integralrechnung, ausgedehnt.
|
Gleichfalls in genannter Zeitschrift im namlichen Jahre erschienen seine
?Meditationes de cognitione, veritate et ideis“
, in welchen er hauptsachlich eine ablehnende Kritik gegen Descartes ubte. Vom Cartesianismus hatte er bezuglich des Begriffes der Bewegung bereits 1669 sich abgewandt, und es scheint, daß er inzwischen seine eigene dynamistische Anschauung, wornach zwischen dem quantitativen Maße der Bewegung und der treibenden Kraft zu unterscheiden sei, weiter verfolgt habe, so daß wir mit einiger Wahrscheinlichkeit den
?Essai de dynamique“
in die Zeit um 1685 setzen durfen. Gewiß wenigstens ist, daß er im Februar 1686, als er einen
?Discours de metaphysique“
brieflich dem Landgrafen Ernst von Hessen-Rheinfels mittheilte, ausdrucklich an seinen Dynamismus anknupfte, wobei sichtlichste Keime des Begriffes der ?lebendigen Kraft“, sowie uberhaupt der Monadenlehre und der prastabilirten Harmonie sich zeigen; mit diesen metaphysischen Fragen aber verband er in merkwurdiger Weise zugleich auch die theologischen Probleme der gottlichen Gnade und Wunderwirkung, des Ursprunges der Sunde, des Verhaltnisses zwischen menschlicher Freiheit und gottlicher Vorhersehung, der personlichen Unsterblichkeit u. dgl. Und da der Landgraf die Uebermittelung dieser Schrift an den schon oben erwahnten Ant. Arnauld besorgte, nahm
L.
den Briefwechsel mit letzterem wieder auf (April bis December 1686), wobei er sich uber den Occasionalismus, uber Substantialitat der Seele und uber die Leeuwenhok’sche Praformation außerte, ja einmal sogar die Frage erorterte, wie denn Gott beschließen konnte, einen gerade so gearteten Adam zu erschaffen. In den
Actis eruditorum
1686 erschien einerseits
?Brevis demonstratio erroris memorabilis Cartesii circa legem naturalem“
, d. h. gegen die Annahme, daß die Quantitat der gesammten Bewegung im Universum unverandert bleibe, und andererseits
?De geometria recondita et analysi indivisibilium atque infinitorum“
, eine erste Andeutung der Integralrechnung mit Erwahnung der vorangegangenen Entdeckungen sowie auch der Leistungen Newton's. Wahrscheinlich in den Jahren zwischen 1684 und 1687, d. h. jedenfalls vor seiner Reise, verfaßte
L.
mehrere Aufsatze, welche der weiteren Durchfuhrung der sogenannten allgemeinen Charakteristik gewidenet waren, namlich:
De scientia universali seu calculo philosophico, Initia scientiae generalis, De natura et usu scientiae generalis, Synopsis libri, cui titulus erit ?Scientia nova generalis“, Guilelmi Pacidii initia et specimina scientiae generalis, Fundamenta calculi ratiocinatoris, Non inelegans specimen demonstrandi in abstractis, Addenda ad specimen calculi universalis
, deren einige immerhin an eine Zahlenmystik streifen, wenn auch
L.
von seinem Plane das stolze Wort Bacon's
?instauratio et auginentatio scientiarum“
gebraucht. Das diese Plane zusammenfassende Manuscript
?Historia et commendatio linguae characteristicae universalis“
ist wahrscheinlich in eine spatere Zeit (vielleicht erst um 1695) zu sehen. Abgesehen von einem wiederholten Briefwechsel mit Arnauld uber Spinozismus, bewegende Kraft und substantielle Formen, d. h. Monaden, sowie von einem Briefe an Pierre Bayle uber die Continuitat scheint
L.
im J. 1687 mit den Vorbereitungen zu der großeren Reise beschaftigt gewesen zu sein, deren Nothwendigkeit sich in Folge des vor sieben Jahren erhaltenen Auftrages bezuglich einer Geschichte des welfischen Hauses allmahlich herausgestellt hatte. Es handelte sich namlich um die Durchforschung zahlreicher deutscher und italienischer Archive, wobei er in seiner Weise mit der Verfolgung des besonderen Zweckes zugleich allgemeine Gesichtspunkte verband. Im October 1687 trat er die Reise an und begab sich uber Kassel und den Mitielrhein zunachst nach Frankfurt, wo er einige Zeit bei dem Orientalisten und Historiker Hiob Ludolf verweilte, welcher ihn zur Theilnahme an einem von ihm beabsichtigten
Collegium historicum imperiale
eingeladen hatte (dasselbe trat 1690 ins Leben);
L.
arbeitete da eine Denkschrift uber die
Nothwendigkeit
aus, daß mit diesem Institute eine eigene Zeitschrift fur Sammlung geschichtlicher Quellen verbunden werde. Am 11. December traf er in Aschaffenburg ein, am 21. in Nurnberg und am 31. in Sulzbach, wo er bis zum 1. Februar 1688 mit Christian Knorr von Rosenroth (s. Allg. D. Biogr. Bd. XVI. S. 327) verkehrte, dessen
?Cabbala denudata“
er mit demselben durchstudirte; von da ging er nach Munchen, wo er sich mit Durchforschung der Handschriften Aventin's beschaftigte, hierauf wandte er sich uber Bohmen nach Wien, wo er im Mai 1688 eintraf. Allerlei Erlebnisse und Eindrucke, welche er bis dahin erfahren hatte, legte er schriftlich nieder in ?Einige curiose Anmerkungen, so auf meiner bisherigen Reise gemacht“. In Wien fand er reichste und verschiedenartigste Beschaftigung; zunachst war er thatig fur die Interessen des hannoverischen Hauses, welches schon langst nach der neunten Kurwurde gestrebt hatte, wahrend Frankreich stets Widerstand dagegen erhob;
L.
, welcher schon 1685 in dieser Frage gearbeitet hatte, suchte am kaiserlichen Hofe die Wege zu ebnen und verfaßte die Denkschrift, welche Herzog Ernst August im folgenden Jahre (1689) an Leopold I. einreichte (zunachst erfolglos, die Investitur als Kurfurst geschah erst im December 1692). Außerdem beutete er die Handschriften der Wiener Bibliothek vielfachst fur befreundete Gelehrte aus, unternahm auch einen Ausflug in die ungarischen Bergwerke, eine Hauptsache aber lag darin, daß er sich wieder in die hohe europaische Politik beigezogen fand. Es erfolgte namlich am 24. September 1688 die Kriegserklarung Ludwigs XIV. gegen Oesterreich, worauf
L.
sofort in einigen Aufsatzen, welche wol sicher zur Kenntniß des Wiener Hofes gelangten, seinen Standpunkt darlegte; es sind dies:
?Spiritus Gallicanus et axiomata Ludovici XIV Eurapae detecta“
, ferner
?Remarques sur un manifeste francois“
(ein solches war namlich erschienen unter dem Titel
?Memoire des raisons qui ont oblige le Roy a reprendre les armes")
und ?Vergleichung des orientalischen und occidentalischen Turken“ (d. h. als Letzterer erscheint Ludwig XIV.). Es hatte nicht bezweifelt werden sollen, daß die vom 18. October datirte kaiserliche Beantwortung der franzosischen Kriegserklarung wirklich von
L.
verfaßt wurde, welcher auch die in derselben obwaltenden Grundsatze in ausfuhrlichster Weise in den
?Reflexions sur la declaration de la guerre que la France a faite a l'Empire“
darlegte. Gleichzeitig richtete er an Kaiser Leopold I. eine Denkschrift ?Geschwinde Kriegsverfassung“, d. h. eine Uebersetzung und Erlauterung einer aus 22 Satzen bestehenden Ordonnance, welche Ludwig XIII. im J. 1636 erlassen hatte, um moglichst schnell ein Heer auf die Beine zu bringen; daneben schrieb er ?Bedenken in Betreff des Munzwesens“, worin er eingehendste Kenntniß der damaligen mißlichen Verhaltnisse, sowie der moglichen Mittel einer Abhilfe bekundete, ferner ?Kayserlicher Majestat und des Reichs Recht auf die Judenschaft zu Frankfurt“. Auch beschaftigte er sich mit dem oben erwahnten Plane Ludolf's, an welchen er mehrfache Rathschlage mittheilte, worunter wir auch den Gedanken finden, daß das Erlernen der Sprachen durch Transscription in ein lateinisches Universalalphabet erleichtert werden solle. Noch von Wien aus schickte er an die
Acta eruditorum
einen Aufsatz, welcher dort im Februar 1689 erschien und die Angabe enthielt, daß er die Hauptsatze Newton's, ohne dieselben zu kennen, von sich selbst aus, aber nach verschiedener Methode gefunden habe (hierin lag der erste Anlaß, daß Newton sich verletzt fuhlte und spater der Prioritatsstreit eine so bittere Gestalt annahm). Ende Februar 1689 verließ er Wien und kam am 4. Marz in Venedig an, wo er bis zum 30. blieb; nach zweiwochentlichem Aufenthalte in Ferrara traf er am 14. April in Rom ein, von wo er Anfangs Mai einen kurzen Ausflug nach Neapel machte. In Rom wurde er alsbald als Mitglied in die von Ciampini gegrundete
Academia fisico-matematica
aufgenommen
, woran er Bemuhungen knupfte, daß durch die Curie den Klostern der Betrieb der Naturwissenschaften anbefohlen werden moge, da hierdurch nur der Ruhm des gottlichen Schopfers erhoht werden konne. Durch den Jesuiten Grimaldi wurde er in die Studien eingefuhrt, welche aus dem in China bethatigten Missionsgeschafte der Jesuiten erwachsen waren, und er sammelte nicht nur den Stoff zu seiner spater (1697) verfaßten Schrift
?Novissima Sinica“
, sondern vermittelte es auch, daß deutsche Gelehrte mit Grimaldi uber asiatische Dinge und Verhaltnisse in brieflichen Verkehr traten. Daneben arbeitete er an einem dyadischen Systeme der Arithmetik, d. h. einer Rechnung ausschließlich mit 0 und 1 als Symbol der Schopfung aus Nichts; als er ein Heft der
Acta Eruditorum
erhielt, in welchem ein Auszug aus Newton's (1687 erschienenem) Werke
?Philosophiae naturalis principia mathematica“
gegeben war, schrieb er seine eigene Ansicht nieder in
?Dynamica de potentia et legibus naturae corporeae“
und schickte einen Aufsatz
?Tentamen de motuum coelestium causis“
an die
Acta Erud.
(1689), worin er den Versuch Newton's, das Dasein und Wirken Gottes daraus zu erweisen, daß die Bewegungen der Materie nicht lediglich aus der Attraction erklart werden konnen, durch das Gleichniß zu beseitigen suchte, daß das Newton’sche Universum eben eine Uhr vorstelle, welche der ungeschickte Uhrmacher zeitweilig aufziehen und richten musse. In Rom wurde er auch veranlaßt, die von ihm spater uberarbeitete Schrift
?Notata quaedam circa vitam et doctrinam Cartesii“
(gedruckt 1693) zu verfassen, und außerdem richtete er an Papst Alexander VIII. ein Gedicht betreffs der Nothwendigkeit eines heiligen Krieges gegen die Turken (zwei anonyme Flugschriften, als deren Verfasser man ihn vermuthen wollte, konnen unerwahnt bleiben).
Das Angebot einer Bibliothekarstelle an der
Vaticana
schlug er aus, da daran die Bedingung des Confessionswechsels geknupft war. Im November 1689 reiste er von Rom nach Florenz, wo er mit Magliabecchi verkehrte, hierauf nach Bologna, wo er den Anatomen Malpighi besuchte, und im December traf er in Modena ein, welches er insoferne als ein Reiseziel betrachten durfte, als er dort im Archive eine entscheidende Entdeckung betreffs der Verwandtschaft des Braunschweigischen und des Este’schen Hauses machte. Auf der Ruckreise begab er sich zunachst wieder nach Venedig, von wo aus er (Marz 1690) einen langeren Brief an Arnauld uber die Grundsatze der Monadenlehre richtete und dann im Auftrage des Herzogs Ernst August nach Wien, woselbst er im Interesse der ersehnten Kurwurde zu wirken hatte. Im Juni traf er Mieder in Hannover ein und schrieb alsbald einen ?Bericht uber die Reise nach Suddeutschland“, sowie
?Brevis synopsis historiae Guelficae“
(zugleich auch in deutscher Uebersetzung); auch reifte die Zusammenstellung der gewonnenen Urkunden soweit heran, daß er 1691 dem Herzoge einen ersten Entwurf des spateren Werkes vorlegen konnte. Etwa in diese Zeit durfte ein von
L.
mit keiner Ueberschrift versehenes Manuscript fallen, in welchem neben allgemeinen Erorterungen uber Philosophie und Theologie die Frage uber Korper und Ausdehnung polemisch gegen Descartes besprochen wird; eben letzteres that er auch in einem im
Journal des Savans
1691 erschienenen Aufsatze
?Sur la question, si l'essence du corps consiste dans l'etendue“.
Gleichzeitig verarbeitete er das bei seinen Studien uber die Harzbergwerke gesammelte Material zu einer Schrift
?Protogaea“
(ein Auszug daraus ist in den
Actis Erud.
1693 gedruckt), worin er eine vollig vulkanistische Erklarung der Gestaltung der Erdoberflache gab und auch uber die Verbreitung und Wanderungen der Hauptstamme des Menschengeschlechtes sich außerte. Die politische Lage veranlaßte ihn, in einer Denkschrift
?Consultation sur les affaires generales a la fin de la campagne de 1691“
die bisher neutralen Fursten Deutschlands und Italiens zu einer Vereinigung und zu Erwagungen uber eine verbesserte
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Kriegsfuhrung zu ermahnen, woran sich (1692) sein
?Projet de descente en Biscaye“
als positiver Vorschlag anschloß. Im J. 1691 wurde
L.
wieder wie vor acht Jahren durch die Reunionsbestrebungen in Anspruch genommen, an welchen sich jetzt lebhaft die Herzogin Sophie von Hannover und eine Schwester derselben, welche Aebtissin in Maubuisson war, und außerdem eine Frau v. Brinon betheiligten, durch welch letztere die Schriftstucke nicht nur an Bossuet, sondern auch direct an Ludwig XIV. ubermittelt wurden. Nachdem Pelisson in seinen
?Reflexions sur les differents de la religion“
im Sinne Bossuet's eine Bekehrung der Reformirten beabsichtigt hatte, vertheidigte
L.
gegen ihn brieflich einen gemaßigten Indifferentismus, welcher auch noch einen gewissen Grad hierarchischer Autoritat ertraglich finden konne, zugleich aber setzte er seinerseits der Zumuthung, zum Katholicismus uberzutreten, entschiedenst seine Angehorigkeit an die Augsburger Confession entgegen (diese Correspondenz wurde mit Leibniz' Erlaubniß gedruckt:
Lettres de M. Leibniz et de M. Pelisson de la tolerance et des differents de la religion.
1693). Er schickte auch des Molanus'
?Cogitationes privatae“
an Frau v. Brinon, und dem Molanus ubersandte er seine eigenen
?Cogitationes privatae“
, welche eine Umarbeitung seiner fruheren
?Regulae circa Christianorum omnium unionem“
(vom J. 1683) waren, Molanus aber ubermittelte diese Schrift an Bossuet, welcher die Reunion als unausfuhrbar bezeichnete, da die katholische Kirche unbedingt am Tridentinum festhalten musse.
L.
jedoch sah sich genothigt, dem Hofe zu lieb noch immer wie fruher den Standpunkt des vom Kaiser gestutzten Spinola zu vertreten und setzte sich hiermit in langerem Briefwechsel schließlich (August 1692) der Antwort Bossuet's aus, daß uber Religion sich nicht in gleicher Weise wie bei diplomatischen Angelegenheiten verhandeln lasse. Daneben lag ein Gegenstand der Correspondenz mit der Herzogin Sophie (1691) auch in dem Auftreten einer jungen Schwarmerin, welche unmittelbare Eingebungen von Christus zu empfangen glaubte, woruber
L.
, wenn auch nicht schlechthin unbefangen, doch in milder Duldsamkeit sich außerte und von scharferen Maßnahmen abrieth. Ein von Spinola verfaßtes
?Sommaire historique des negotiations religieuses“
copirte er fur sich (1693) und wahrscheinlich entstand um diese Zeit sein Manuscript
?Dialogue entre un habile politique et un ecclesiastique d'une piete reconnue sur des sujets de religion“.
Zugleich aber finden wir ihn wahrend des Jahres 1692 in rastloser Beschaftigung mit den mannigfaltigsten Dingen. In einem
?Memoire pour des personnes eclairees et de bonne intention“
entwickelte er wieder seine Gedanken uber Grundung einer weitgreifenden gelehrten Gesellschaft, an Huet richtete er ein ausfuhrliches kritisches Schreiben
?Animadversiones in partem generalem Principiorum Cartesianorum“
und an Huygens seine Bedenken uber Newton's Himmelsmechanik, deren Starrheit ihn abstieß, wahrend er seinerseits
une matiere liquide
annehmen zu mussen glaubte; wichtig ist auch seine 1692 erneute Correspondenz mit Papin, dessen Versuche uber die Dampfkraft er genau verfolgte und durch Vorschlage neuer Experimente forderte, wobei er insbesondere die Lehre vom Kraftemaß erorterte; daneben schrieb er ?Bedenken uber Seidenziehung“, auf welchen Gegenstand er spater mehrmals zuruckkam, und mit dem Helmstadter Bibliothekar v. d. Hardt (s. Allg. D. Biogr. Bd. X. S. 595) verkehrte er brieflich uber die Harmonie der verschiedenen Sprachen, wahrend ein langerer Briefwechsel mit Nicaise, Canonicus in Dijon, sich auf Linguistisches, Litteratur, Antiquitaten, politische Geschichte, Cartesianismus und auf die Streitigkeiten zwischen Fenelon und Bossuet erstreckte; gleichzeitige Sendschreiben an Malebranche hatten selbst die Folge, daß dieser sich von Descartes abwandte und in den sogenannten Theodiceesragen den Ansichten Leibniz' naherte; ferner mit Foucher correspondirte er uber Theilbarkeit und Bewegung, sowie mit dem
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Marquis de l'Hospital, dem ersten Franzosen, welcher an Leibniz' mathematische Leistungen anknupfte, uber den Ausbau der Integralrechnung. Indem er so in Frankreich allgemein bekannt war und in hohem Ansehen stand, erhielt er (1692) durch Vivier die Aufforderung, in franzosische Dienste zu treten, was er ablehnte, da er eben mit den Ergebnissen seiner Reise und seiner geschichtlichen Forschungen beschaftigt war. Dem Streben Hannovers nach der neunten Kurwurde waren noch immer neben confessionellen Bedenken mancherlei Einwande entgegengetreten, woruber
L.
uberallhin vermittelnd zu wirken versuchte, und da es sich auch um das zur Kur gehorige Erzamt handelte, bezuglich dessen Sachsen und Wurttemberg Einsprache erhoben, verfaßte er (December 1692) die Denkschrift ?Vom Unterschiede zwischen dem Reichs-Haupt-Banniere und der wurttembergischen Sturmfahne“, sowie er auch auf Ludolf, welcher ein Gegner der neuen Kurwurde war, einzuwirken versuchte. Als erste Frucht seiner historischen Studien erschien 1693 der
?Codex iuris gentium diplomaticus“
, dessen Vorrede
?De notionibus iuris et iustitiae“
die Grundzuge einer Rechtsphilosophie enthalt, in welcher die aristotelische Eintheilung der Gerechtigkeit mit der von Hugo Grotius vorgenommenen Gliederung verbunden und ein theologisirender Abschluß erreicht wird, zugleich aber auch eine patriotische Vertheidigung der Rechte Deutschlands eingeflochten ist; vielleicht fallt das Bruchstuck ?Vom Naturrecht“ ungefahr in die gleiche Zeit. Neue Folgerungen der hoheren Analysis, uber welche er mit Newton noch einen freundschaftlichen, aber letzten Briefwechsel fuhrte (17. Marz und 26. October 1693), veroffentlichte er in den
Actis Erud.
(1693 f.), namlich
?Supplementa geometriae practicae";
d. h. uber Integrirung logarithmischer Functionen, und
?Nova calculi differentialis applicatio“.
Ebendort erschien 1694 eine kurze Abhandlung
?De primae philosophiae emendatione et de notione substantiae“
, worin er den fur die Monadenlehre entscheidenden Grundsatz aussprach, daß das wahre Wesen der Substanz in Thatigkeit bestehe. Zu seinen geschichtlichen Arbeiten erhielt er einen Gehulfen an Joh. Georg Eckhart, welcher 1694 von Dresden nach Hannover kam (s. Allg. D. Biogr. Bd. V, S. 627) und nun fortan in dauernder wissenschaftlicher Verbindung mit
L.
blieb; daß aber letzterer in einem Briefe an Spanheim (November 1694) den Wunsch außerte, nach Pufendorf's Tod als Historiograph in brandenburgische Dienste zu treten, ist wol ein eigenthumliches Zeichen seiner Strebsamkeit. Als 1695 der Herzog von Modena sich mit einer Tochter des verstorbenen Herzogs Johann Friedrich vermahlte, schrieb
L.
, welcher mit den Keimen dieser Angelegenheit bereits bei seinem Aufenthalte in Modena vertraulich zu schaffen hatte, eine
?Lettre sur la connexion ancienne des maisons de Brunsvic et d'Este“.
Einem ersten Angriffe gegen die Differentialrechnung, welchen Bernhard Nieuwentiit in den
Actis Erud.
durch
?Considerationes circa analyseos ad quantitates infinite parvas applicatae principia“
gemacht hatte, antwortete
L.
ebendort (1695) durch den Aufsatz
?Responsio ad nonnullas difficultates“
, wobei er den schwierigen Begriff des Unendlichkleinen zu berichtigen versuchte, sowie er damals uberhaupt die Absicht hegte, eine
?Scientia infiniti“
zu schreiben; ein kurzes
?Specimen dynamicum“
erschien am gleichen Orte. Im namlichen Jahre aber veroffentlichte er zum ersten Male einen zusammenfassenden Grundriß der in seinem Geiste allmahlich entstandenen Monadenlehre mit Einschluß der prastabilirten Harmonie; namlich im
Journal des Savans
(1695) erschien
?Systeme nouveau de la nature st de la communication des substances“
, und als dagegen Foucher Einwande erhoben hatte, folgte ebendort
?Remarques sur les objections de M. Foucher“
nebst
?Eclaircissement du nouveau systeme de la communication des substances“
, sowie bald darauf (1696)
?Lettre a M. Basnage“
und
?Extrait d'une lettre de Leibniz sur son hypothese de Philosophie“
(letztere beiden wurden
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spater auch als 2. und 3.
Eclaircissement
bezeichnet). Die hier niedergelegten Grundsatze suchte
L.
zugleich fur die Fragen der Erkenntnißtheorie zu verwerthen und verfaßte somit (1696)
?Reflexions sur l'essay de l'entendement humain de Locke“
(desselben
Essay concerning human understanding
war 1689 f. erschienen); das Manuscript schickte er selbst an Locke, damit es in der beabsichtigten franzosischen Uebersetzung des Werkes veroffentlicht werde, jener aber legte keinerlei Werth darauf, und so wurde Leibniz' Aufsatz erst nach Locke's Tod in der Sammlung der nachgelassenen Briefe desselben gedruckt (1708). Im Marz 1696 traf
L.
mit Johann Bernoulli, welcher fleißig am Ausbaue der hoheren Analysis gearbeitet hatte, die Vereinbarung, daß er seinerseits statt des bisher gebrauchten Wortes
?summatio“
sich fortan des Ausdruckes
?integralis“
bediene, Bernoulli hingegen an Stelle des von ihm gewahlten Zeichens
?J“ (integralis)
kunftig ∫ (d. h.
summatio)
anwende, wodurch sonach die jetzt noch ubliche Bezeichnungsart eingefuhrt war. Im Briefwechsel mit Bernoulli kommt
L.
auch stets auf den von ihm eingefuhrten Begriff der lebendigen Kraft zuruck (d. h. nach seiner Annahme ist die Bewegungskraft =
M X C2
, wahrend die Cartesianer sie als
M X C
nahmen) und der gleiche Gegenstand erscheint auch in der Correspondenz mit Wallis sowie in einigen Aufsatzen in den
Actis Erud.
Daneben mit padagogischen Fragen beschaftigt, brachte er mancherlei einzelne Gedanken uber Reform der Schulen zu Papier und verfaßte (1696)
?Projet de l'education d'un prince“
, woselbst er das Verfahren empfahl, welches wir jetzt Anschauungsunterricht nennen; ein gleichzeitiger Entwurf einer Instruction betreffs Untersuchungen uber die tatarischen Sprachen verfolgte ein Ziel, welches heutzutage der Volkerpsychologie zugewiesen wird, und ein Brief an Gabriel Wagner ?Vom Nutzen der Vernuftkunst oder Logik“ gibt Zeugniß davon, wie einlaßlich er auch mit diesem Gebiete vertraut war; in die gleiche Zeit fallt ein Manuscript
?De origine Germanorum“.
Als 1696 Franz v. Helmont nach Hannover kam, fuhrte ihn
L.
auch bei der Kurfurstin Sophie ein, und es knupften sich hieran mehrere Unterredungen philosophischen und theosophischen Inhaltes. Am 29. Aug. 1696 wurde er zum Geheimen Justizrathe ernannt, wodurch er wol fester an Hannover gebunden werden sollte, denn er außerte um jene Zeit ofter, daß er anfange sich zu langweilen und an eine Reise nach Holland denke, wo ihm der uberhand nehmende Deismus einer Bekampfung zu bedurfen schien. In Folge einer in Engensee (1696) gehaltenen Conferenz der Mitglieder des welfischen Hauses wurden ihm zur Fortsetzung der geschichtlichen Arbeiten 400 Thaler zugewiesen, welche Unterstutzung jedoch 1698 wieder zuruckgezogen wurde. Als eine Nebenfrucht aber der welfischen Historiographie erschien 1697
?Historia arcana Alexandri VI. Papae seu excerpta ex diario Joh. Burchardi“
und wahrscheinlich um diese Zeit schrieb er auch
?Flores sparsi in tumulum Johannae papissae“.
Wenn wir es fur beachtenswerth halten mussen, daß er in einem Briefe an Burnet (Mai 1697) bekennt, er sei jetzt in seinen philosophischen Ueberzeugungen zum Abschlusse gekommen, so wird es uns als minder wichtig erscheinen, daß er im
Journal des Savans
(August) abermals am Cartesianismus eine ablehnende Kritik ubl; hingegen die Manuscripte
?Sentiment sur l'amour de dieu desinteresse“
(d. h. uber Spinoza's
amor intellectualis dei)
und
?De rerum originatione radicali“
(November 1697) zeigen die theologistrende Auffassung, welche bei ihm bezuglich der bestmoglichen Welt und verwandter Fragen obwaltete. Nachdem die Verhandlungen uber eine Reunion der christlichen Konfessionen seit vier Jahren abgebrochen waren, tauchte jetzt ein anderer ironischer Gedanke auf, indem man eine Vereinigung der beiden nicht-katholischen Bekenntnisse anstrebte, wobei
L.
wieder als Wortfuhrer auftrat; derselbe richtete namlich (Juni 1697) an den Secretar des Kurfursten von Brandenburg eine ?Kurze Vorstellung der
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Einigkeit und des Unterschiedes bei den Protestirenden“, welche in Berlin gunstig aufgenommen wurde, aber doch vorerst nicht zu thatigem Eingreifen fuhrte, wahrend
L.
in dieser Angelegenheit auch nach Helmstadt ging, um mit Friedr. Ulr. Calixt (dem Jungeren, s. Allg. D. Biogr. Bd. III, S. 705) zu verkehren, welcher, nicht ohne Anknupfung an seinen Vater, Unionsplane verfolgte. Von der Vereinigung der sammtlichen ?Evangelischen“ (welche Bezeichnung fur Protestanten und Reformirte vom Berliner Hofe vorgeschlagen war) erwartete
L.
, welcher mit der theologischen Richtung des Herm. Aug. Francke sympathisirte, auch eine Forderung des Missionswesens in Rußland und Asien. Wahrend der langen Verhandlungen, welche endlich zum Abschlusse des Friedens zu Ryswijk (30. October 1697) fuhrten, richtete
L.
nach Wien eine Denkschrift ?An den Kaiser“, worin er rieth, daß Oesterreich, selbst wenn es ganz allein stehe, kriegerischen Widerstand gegen Frankreich leisten solle, und seiner nicht sehr trostlichen Ansicht uber den erfolgten Friedensschluß gab er Ausdruck in
?Considerations sur la paix de Rysnyk“.
Sogleich aber nach dem Ryswyker Frieden trat in Berlin eine Wendung ein, welche fur
L.
einflußreich wurde. Kurfurst Friedrich III. von Brandenburg war (seit 1684) vermahlt mit Sophie Charlotte, Tochter des hannoverischen Herzogs Ernst August, und sowie diese auch nach ihrer Verheirathung uberhaupt im innigsten Verhaltnisse mit ihrer Mutter Sophie verblieb, so neigte sie sich bei dem zwischen Hannover und Brandenburg bestehenden Zwiespalte erklarlicher Weise stets naher zur braunschweigischen Hauspolitik. Hierin lag wol eine der hauptsachlichen Ursachen zu dem Sturze des bis dahin in Berlin nahezu allmachtigen Danckelmann (s. Allg. d. Biogr., Bd. IV. S. 724); jedenfalls aber ist es Thatsache, daß nach der Entlassung dieses Staatsmannes
L.
in Berlin an Boden gewann, wo er nunmehr zu Gunsten der politischen Gesinnung der beiden Kurfurstinnen wirken und zugleich die obwaltende Spannung losen zu konnen hoffte. Als glaubhaftes außeres Motiv, um nach Berlin zu kommen, sollte die Grundung einer wissenschaftlichen Gesellschaft dienen, und so regte er bereits gegen Ende 1697 in Briefen an den brandenburgischen Cabinetssecretar und insbesondere an Sophie Charlotte den betreffenden Plan an, welchen er seinerseits ja schon fruher in verschiedenen Manuscripten im Allgemeinen ins Auge gefaßt hatte; diese alteren handschriftlichen Entwurfe legte er der Kurfurstin, als sie 1698 von Berlin auf Besuch nach Hannover kam, personlich vor. Im Zusammenhange mit diesen Grundungsgedanken stand es, daß er (noch Ende 1697) eine ?Ermahnung an die Teutschen, ihren Verstand und Sprache besser zu uben, sammt Vorschlag einer teutsch gesinnten Gesellschaft“ niederschrieb, worin er den Wunsch aussprach, daß nunmehr nach dem eingetretenen Friedensschluß sich die Deutschen in geistiger Erhebung gegen Frankreich aufraffen sollen; und etliche Wochen spater verfaßte er ?Unvorgreifliche Gedanken betreffend die Ausubung und Verbesserung der teutschen Sprache", eine Schrift, welche den Kampf gegen den damaligen Mischmasch aufnahm und zugleich verwandt mit den Planen einer allgemeinen Charakteristik auf die Nothwendigkeit richtig gewahlter Zeichen hinwies, woraus sich ein dreifaches Worterbuch ergeben solle, namlich ein ?Sprachbrauch", enthaltend die ublichen Worte, dann ein ?Sprachschatz“, die Kunstworte umfassend und ein ?Sprachquell“, worin die alten Wortformen zu sammeln seien. Ja sogar auf Ludwig XIV. blickte er in zwei kleinen Denkschriften:
?Preceptes pour avancer les sciences“
und
?Discours touchant la methode de la certitude et l'art d'inventer pour finir les disputes“
, insoferne jetzt Frankreich nach all seinen Siegen den Friedensruhm eines goldenen Zeitalters erwerben konne, wenn es mit vereinten Kraften die Verwirklichung einer Allwissenschaft fordere. Als am 23. Januar 1698 Kurfurst Ernst August starb,
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verfaßte
L.
die sogen. Personalien, welche beim Leichenbegangnisse in der Schloßkirche verlesen wurden (gedruckt 1698). Dem Thronfolger Georg Ludwig, nachmaligem Konige von Großbritannien und Irland stand
L.
nicht so nahe, wol aber dauerte die Vertrauensstellung desselben bei der verwittweten Kurfurstin Sophie ebenso innig fort, wie der briefliche und personliche Verkehr mit der brandenburgischen Kurfurstin Sophie Charlotte sich enger zu schurzen begann. Unterdessen war in Hannover der Faden der Reunionsgedanken fortgesponnen worden, und zwar in doppelter Richtung, namlich einerseits bezuglich einer Vereinigung aller christlichen Confessionen und andererseits behufs einer Union der Akatholiken unter sich, welch letztere Absicht auch am brandenburgischen Hofe gehegt wurde und nebenbei eine politische Spitze gegen Ludwig XIV. in sich barg. Noch im December 1697 hatte Daniel E. Jablonski (s. Allg. d. Biogr., Bd. XIII. S. 523 ff.) eine irenische Schrift an Ernst August gerichtet, von welchem
L.
zu einem Gutachten hieruber aufgefordert wurde, und so ergab sich ein erneuter Briefwechsel des letzteren mit Bossuet und Molanus, sowie Verkehr mit den Helmstadter Theologen Fabricius und A. Schmidt, desgleichen mit dem Herzoge Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbuttel, welcher die allgemeine Reunion bei Ludwig XIV. befurwortete, wodurch auch Du H
e
ron, franzosischer Gesandter in Braunschweig, in die Correspondenz beigezogen wurde. Im Sommer 1698 fand in Hannover eine Conferenz zwischen Jablonski, Molanus und
L.
statt, worauf letztere beide gemeinschaftlich eine Denkschrift in deutscher Sprache mit dem Titel
?Via ad pacem“
verfaßten, worin weitgehende Zugestandnisse des Protestantismus an den Katholicismus enthalten waren;
L.
seinerseits fugte unter Bezugnahme auf Spener ein
?Tentamen irenicum“
hinzu. Im Januar 1699 schrieb Bossuet seinen letzten Brief an
L.
, und die ganze Angelegenheit schlief vorlaufig wieder ein, obwol noch im Marz die Helmstadter theologische Facultat einstimmig den Reunionsvorschlagen beitrat. Um so mehr nun glaubte
L.
an der engeren Union, d. h. an der Vereinigung der Protestanten und Reformirten, festhalten zu mussen, und indem er in dieser Absicht seinen Blick auch auf England richtete, schrieb er (20. April 1699) an den anglicanischen Bischof Burnet in Salesbury einen ausfuhrlichen Brief, welcher als ein Hauptdocument seiner auf diesen Zweck zielenden Bestrebungen zu betrachten ist. Daneben hatte er 1698 die zum
Codex iuris gentium
gehorigen
?Accessiones historicae“
veroffentlicht und auch in den Gebieten der Philosophie und der Mathematik gearbeitet. Da namlich ein Streit uber den Begriff der Natur zwischen dem Altorfer Joh. Chr. Sturm und dem Kieler Schelhammer ausgebrochen war, schickte
L.
an die
Acta Erud.
(1698) einen Aufsatz
?De ipsa natura sive de vi insita actionibusque creaturarum“
, worin er den Kern seiner Monadenlehre, d. h. den Grundsatz, daß das Wesen der Substanz in Thatigkeit bestehe, erorterte, und gleichzeitig schrieb er an Basnage in Rotterdam
?Eclarircissement des difficultes que M. Bayle a trouve dans le systeme nouveau de la nature“.
In welch engem Zusammenhange aber die Monadenlehre mit seinen Principien der Dynamik sich befunden habe, ist aus einem an De Volder, Professor in Leyden, gerichteten Briefe (1698) ersichtlich, in welchem er an den oben erwahnten Begriff der lebendigen Kraft die Darlegung knupfte, daß in jedem Korper ein Elasticitat erzeugendes Fluidum walte und der Korper uberhaupt ein Aggregat von Substanzen sei, welche mit Activitat ausgerustet sind. In einem damals erneuten Briefwechsel mit Wallis klarte er diesen, welcher ein Anhanger der alten Schule war, uber das Verhaltniß auf, welches zwischen seiner Differentialrechnung und der Fluxionsrechnung Newtons bestehe, und zwar ohne hierbei irgend Eifersucht zu zeigen (wichtig sind die Briefe vom 29. December 1698 und vom 30. Marz 1699); aber alsbald sollte der Prioritatsstreit beginnen.
L.
namlich
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hatte (wie es damals ublich war, daß die Mathematiker sich gegenseitig Aufgaben zuschickten) das Problem der sogen. Brachistochrone gestellt, uber welches auch Newton eine Losung einschickte, und in dem Berichte, welcher uber die eingelaufenen Arbeiten in den
Actis Erud.
(1699) erschien, war Newton gleichsam als ein Schuler Leibniz's bezeichnet worden. Darauf nun erhob der in England lebende Schweizer Fatio de Duillier in einem Aufsatze
?Lineae brevissimi descensus investigatio“
geradezu den Vorwurf, daß
L.
ein Plagiat an Newton begangen habe, welcher uberhaupt der erste Erfinder des neuen Calculs sei; dagegen wehrte sich
L.
in den
Actis Erud.
mittelst einer
?Responsio ad Fatii imputationes“.
Er konnte sich dabei darauf berufen, daß Newton in einem Scholion der
?Philosophiae naturalis principia“
(1687) selbst die anerkennende Bemerkung ausgesprochen habe, daß
L.
eine ahnliche Methode besitze; aber
L.
fugte auch bei, er seinerseits habe bereits Zehn Jahre fruher seine Erfindung dargelegt und die ahnliche Methode Newton's erst jungst durch Huygens erfahren (letzteres aber entspricht der Wahrheit durchaus nicht, da
L.
in seinem oben erwahnten Briefe an Oldenburg vom 11. Juni 1677 thatsachlich eine theilweise Bekanntschaft mit Newton's Verfahren bekundet hatte). Seit einiger Zeit schwebten am politischen Horizonte zwei Thronfolgefragen, welche ihre endgultige Entscheidung von der Zukunft zu erwarten hatten; namlich einerseits war in England nach der Entthronung Jakobs II. durch die
Bill of rights
(1689) der Besitz der Krone an das protestantische Glaubensbekenntniß geknupft worden, und da Konig Wilhelm III. uberhaupt kinderlos war und auch die Kinder seiner protestantischen Schwagerin und Nachfolgerin Anna sammtlich gestorben waren, fiel das Erbfolgerecht auf die Kurfurstin Sophie von Hannover als Enkelin Konig Jakobs I., wahrend der katholische Sohn des gesturzten Jakob II., gleichfalls Jakob genannt, trotz der offentlichen Meinung, welche ihn fur einen unterschobenen Prinzen hielt, gleichfalls Anspruche auf den Thron erhob und dabei von seiner Schwester Anna, sowie von Frankreich unterstutzt wurde.
Nachdem
L.
bereits im October 1696 diese Successionsfrage bei der Kurfurstin Sophie beruhrt hatte, wobei jedoch dieselbe sich entschieden fur den Pratendenten Jakob III. erklarte, kam die Angelegenheit im September 1698, als Konig Wilhelm III. in Celle anwesend war, im Beisein Leibniz's wieder zur Sprache, welcher sich mit Warme fur den bestehenden Rechtsstandpunkt, d. h. fur Annahme der eventuellen Succession außerte, aber abermals auf sprode Abneigung der Kurfurstin stieß; nach wiederholten vergeblichen Besprechungen und Gutachten trat er im Juli 1700 in Correspondenz mit Stepney, um sich uber die Lage der Dinge in England und besonders uber die Stellung der dortigen Parteien zur Successionsfrage genau zu unterrichten, und gab neuerdings in schriftlicher Begrundung seine Meinung kund, ohne jedoch bei Sophie Zustimmung zu finden. Eine zweite Thronfolgefrage, welche bekanntlich in Balde nahezu ganz Europa in Bewegung setzte, lag in Spanien vor, wo mit dem Ableben des Konigs Karl II. ein Erloschen des Mannsstammes der spanischen Habsburger in Aussicht stand; im Hinblicke hierauf verfaßte
L.
(1700) zu Gunsten der osterreichischen Anspruche eine Denkschrift
?Status Europae incipiente novo saeculo“.
Wahrend er die
?Mantissa codicis iuris gentium diplomatici“
(1700) veroffentlichte, womit auch die
?Monita ad Pufendorfium“
und die
?Observationes de principiis iuris“
ungefahr gleichzeitig sein durften, bahnte sich fur ihn eine Wirksamkeit in Berlin an. Nachdem ihm schon im September 1699 Jablonski brieflich die Geneigtheit Preußens, ihn in Dienst zu nehmen, mitgetheilt hatte, erging an ihn anfangs Marz 1700 durch den Kurfursten von Brandenburg die formelle Einladung, nach Berlin zu kommen, wo man eine Verbesserung des Kalenders beabsichtigte, zu welcher
L.
bereits von Hannover
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aus Beitrage geliesert hatte. Kurfurst Georg Ludwig ertheilte den erforderlichen Urlaub, nachdem
L.
am 13. Marz als Mitglied in die Pariser Akademie aufgenommen worden, was ubrigens nach Fursprache des Berliner Hofes auf Befehl Ludwigs XIV. geschehen war. Dem Wunsche Leibniz's folgend suchte die Kurfurstin Sophie Charlotte ihren Gemahl zu uberzeugen, daß die Kalenderverbesserung fuglichst durch eine wissenschaftliche Gesellschaft gefordert werde, und Friedrich III. faßte auch in der That am 18. Marz den Beschluß, eine Societat der Wissenschaften in Berlin zu grunden. Betreffs der Ausfuhrung schickte
L.
noch von Hannover aus zwei Denkschriften ein, reiste aber dann Mitte Mai selbst nach Berlin, wo sofort sein regster geistiger Verkehr mit Sophie Charlotte begann, welche den Sommer in dem benachbarten Lutzenburg (d. h. jetzt Charlottenburg) verbrachte. Nach verschiedenen vorangegangenen Entwurfen, welche besonders die Dotation betrafen, verfaßte
L.
den Stiftungsbrief der ?Societat der Wissenschaften“, welcher vom Kurfursten am 11. Juli unterzeichnet wurde, worauf am 12.
L.
die Ernennung zum Prasidenten erhielt. Als Aufgabe der Societat war bezeichnet, daß sie zur Ehre der deutschen Nation in Erhaltung der deutschen Sprache und Pflege der deutschen Geschichte thatig sei, daß sie dem gemeinen Nutzen durch Forderung der Naturbeobachtung und der Experimente diene, und daß sie zur Verbreitung des christlichen Glaubens in Hebung der Missionen beitrage (Philosophie war in den Umkreis der Thatigkeit der Akademie nicht aufgenommen). Eine Erzahlung seiner auf die neue Anstalt gerichteten Bemuhungen schrieb
L.
, welcher alsbald eine Besoldung von 600 Thlrn. erhielt, mit der Ueberschrift ?Societat der Wissenschaft in Preußen“ nieder. Nachdem schon im Mai dieses Jahres (1700) Kaiser Leopold an den Kurfursten Georg Ludwig das Ersuchen gerichtet hatte, daß
L.
behufs geplanter Reunionsverhandlungen nach Wien komme, folgte derselbe im September vom Bade Teplitz aus dieser Einladung und verweilte bis Mitte December in mehrfachem Verkehre mit dem kaiserlichen Hofe; nach dem Tode des Konigs Karl II. von Spanien (1. November) verfaßte er auf Anstiften Hollands
?Manifest contenant les droits de Charles III., Roi d'Espagne“
(gedruckt 1704 und in spanischer Uebersetzung 1711), worin er in hestiger Weise sich uber die Chicanen Frankreichs erging. In diese Zeit fallen auch handschriftliche Vorschlage uber Seidenzucht und Maulbeerpflanzungen, uber Assecuranzen und Unfallversicherung, sowie Briefwechsel mit Le Fort in Petersburg uber Herstellung von Polyglotten, mit dem schwedischen Minister Sparvenfeld und dem Reisenden Witsen uber slavische Sprachen, und ein kleiner Aufsah uber Cartesianismus im
Journal de Trevoux
(1700). Von Wien war
L.
, ohne Hannover zu beruhren, nach Berlin zuruckgekehrt, wo er als Auslander nicht ohne Mißtrauen aufgenommen war und auch bezuglich der gewunschten Bluthe der neu gegrundeten Societat auf mancherlei Hindernisse stieß, da es vorerst nicht nur an einem Locale fur dieselbe, sondern vor allem auch an Geldmitteln fehlte; er reichte verschiedene Entwurfe uber Kalenderstempel, uber Seidenzucht und uber Missionswesen ein, und machte auch den Vorschlag, daß jahrlich sammtliche Aerzte Preußens an die Societat Berichte uber alle Zweige der Medicinalstatistik einschicken sollen (verwirklicht wurde letzterer Plan viel spater, namlich erst durch ein Edict vom J. 1750). Ein erfreuliches Ergebniß seiner Thatigkeit war der ?Monatliche Auszug aus allerhand neu herausgegebenen nutzlichen und artigen Buchern“, welcher 1700?1702 erschien und außerlich als von Eckhart herausgegeben auftrat, aber dem Inhalte nach hauptsachlich von
L.
bearbeitet war, welcher dabei den Kampf gegen Franzosenthum, sowie gegen Fanatismus und Geschmacklosigkeit aufnahm. Auch bei den langen Unterhandlungen uber die Erhebung des brandenburgischen Kurfursten zum Konige von Preußen (die Kronung fand am 18. Januar 1701 in
Konigsberg
statt) war
L.
beschaftigt, und in Folge dessen verfaßte er (1701) einen ?Auszug verschiedener die neue preußische Krone angehender Schriften“, welchem er seinerseits einen Anhang ?Betreffend dasjenige, was nach heutigem Volkerrecht zu einem Konige erfordert wird“, beifugte. Am hochsten aber schatzte er den Umgang mit der Regentin Sophie Charlotte, bei welcher er nothigensalls auch Schutz gegen Anfeindungen fand. Philosophische Gesprache mit derselben trugen schon 1700 den veranlassenden Keim zur spateren Theodicee in sich, insofern die hochgestellte geistvolle Dame, welche, geleitet von
L.
, den Lauf der Litteratur verfolgte, sich von Pierre Bayle's Manichaismus, sowie von dessen schroffer Scheidung zwischen Religion und Philosophie abgestoßen fuhlte und von ihrem Lehrer Beruhigung uber die betreffenden Fragen erwartete. Mit den einlaßlicheren Studien, welche nun
L.
in dieser Richtung machte, hangen wol verschiedene Manuscripte desselben zusammen, welche eben deshalb ungefahr in diese Zeit zu setzen sein durften, namlich
?Refutation de Spinoza“
, ferner
?Observationes ad Mosis Maimonidis librum, qui inscribitur Doctor perplexorum“
, sowie auch Anmerkungen (franzosisch) zu des Mercurius van Helmont kabbalistischer Schrift
?Seder Olam seu ordo seculorum“.
Sichergestellt aber ist die Abfassungszeit zweier Schriften zum Zwecke der Vertheidigung gegen den Benedictiner Franz Lami, welcher in seiner
?Connaissance de soy-meme“
(1699) die Lehre von der prastabilirten Harmonie bestritt;
L.
namlich schrieb dagegen
?Addition a l'explication da systeme nouveau touchant l'union de l'ame et du corps“
(1700) und
?Reponse aux objections contre le systeme de l'harmonie preetadlie qui se trouvent dans le livre de la connaissance de soymeme“
(1702). Inzwischen war
L.
wieder durch die englische Successionsfrage zu wiederholter Abwesenheit von Berlin veranlaßt; er hatte fur die Kurfurstin Sophie uber eine diese Angelegenheit betreffende Schrift des Englanders Fraiser ein Gutachten verfaßt
("Reflexions sur un ecrit Anglais")
und wurde im Jan. 1701 zu einer Conferenz in Celle beigezogen, bei welcher außer Sophie sich der Herzog Georg Wilhelm von Celle-Limburg (Bruder des verstorbenen Kurfursten Ernst August) und der englische Gesandte Cresset einsanden. Indem dort die Kurfurstin bei ihrer fruheren Ablehnung beharrte, hob
L.
in einer Denkschrift
?Considerations sur le droit de la maison Brunsvic-Lunebourg a l'egard de la succession d'Angleterre“
die Gefahren hervor, welche fur Europa drohten, wenn wahrend des in sicherer Aussicht stehenden spanischen Erbfolgekrieges in der Person des prasumtiven Jakob III. (welchen auch
L.
fur einen Bastard hielt) ein franzosischer Vasallenkonig den Thron Englands besteige. Hierdurch wurde Sophie etwas nachgiebiger gestimmt, und Englands Konig Wilhelm III., welcher sich stets fur die hannoversche Succession erklart hatte, konnte dem Abschlusse der Frage entgegensehen; auch
L.
setzte von Berlin aus seine Bemuhungen fort und vertrat in erneutem Briefwechsel mit Stepney (Marz 1701) die Ansicht, daß die Angelegenheit gemeinsam vom Konige und vom Parlamente geregelt werden musse. Dies geschah auch, und nachdem am 12. Juni der Parlamentsbeschluß die konigliche Sanction erhalten, fand sich am 14. August in Hannover eine englische Kronbotschaft ein, welche der Kurfurstin die Successionsacte uberbrachte; zu dieser Feierlichkeit war auch
L.
wieder dorthin geeilt, welcher dabei personlich mit dem Freidenker Toland, als einem Mitgliede jener Gesandtschaft bekannt wurde, und durch philosophische Gesprache mit demselben wurde das Manuscript
?Adnotatiunculae ad Tolandi librum de Christianismo“
veranlaßt. Im Sommer 1701 waren bedenkliche Differenzen politischer Art erwachsen, indem nicht nur Herzog Anton Ulrich von Braunschweig-Luneburg, welcher seit der Kurwurde feindselig gegen Hannover stand, sich an Frankreich anschloß, sondern auch Braunschweig-Wolfenbuttel einen Neutralitatsvertrag mit
Ludwig
XIV. einging, und indem nun Sophie Charlotte von Preußen um jeden Preis ein Zusammengehen mit Hannover wunschte, bethatigte sich
L.
als Vertrauensmann derselben sowol in dieser Richtung als auch in dem Bestreben, bei den ubrigen Hofen zu vermitteln. Zugleich richtete er an Kaiser Leopold eine ?Denkschrift uber politische Sachen“, worin er eine Coalition aller deutschen Fursten mit Einschluß der nordischen Machte behufs der Abwehr gegen Frankreich vorschlug, und bezuglich des spanischen Erbfolgestreites schrieb er
?La justice encouragee contre un partisan Bourbonique“
, sowie er die gefahrliche Lage Europas uberhaupt in einer
?Lettre a la repudlique de Venise“
schilderte. In Hannover war man uber die ofteren Reifen Leibniz's nach Berlin bereits verstimmt und hegte den Argwohn, daß seine Thatigkeit uberhaupt in hoherem Grade Preußen zu gute komme, fur welches er innerlich ?inclinire"; der Kurfurst Georg Ludwig, welcher die welfische Geschichtschreibung als das unsichtbare Werk zu bezeichnen pflegte, gewahrte allerdings (Juli 1701) die fruher eingezogenen 400 Thlr. neuerdings, aber wollte dabei den Fortschritt der Arbeit controlliren und zu diesem Behufe einen Gehulfen bestellen; letzteres that ubrigens in Balde
L.
von sich selbst aus, indem er den Candidaten der Theologie Joh. Friedr. Hodann, welcher fur ihn in den Aufgaben der allgemeinen Charakteristik gearbeitet hatte, auch zu den historischen Studien beizog. Im December 1701 ging er wieder nach Berlin, wo er erkrankte und hierdurch gehindert war, die nach Hannover reisende Konigin zu begleiten, im Marz 1702 aber hatte er eine Familienangelegenheit des Kurfursten Georg Ludwig (betreffs des Bruders desselben, Maximilian Wilhelm) in Wien zu erledigen, von wo er im Mai wieder in Berlin eintraf; dort verfaßte er fur Sophie Charlotte einen an die Monadenlehre anknupfenden Aufsatz uber Materie und Sinneswahrnehmung und traf ofters mit dem nun in Berlin lebenden Toland zusammen, uber welchen er sich in mehreren Briefen an die Kurfurstin Sophie außerte, wobei meistens auch die englische Succession zur Sprache kam. Nach vorubergehendem Aufenthalte in Hannover war er von September 1702 bis April 1703 wieder in Berlin, in welcher Zeit er in Folge der Rechtsfrage uber die sogen. oranische Erbschaft die Denkschrift verfaßte
?Information sommaire touchant le droit, incontestable de Sa Majeste le Roi de Prusse a la succession de son grand-pere“
, und als Erzherzog Karl am 16. September in Mailand durch osterreichische Truppen als Konig von Spanien ausgerufen worden, schrieb er
?Dialogue entre un cardinal et l'amirante de Castille“
, woran sich ein deutsches Gedicht uber den Beginn des spanischen Erbfolgekrieges anschloß, sowie er ein lateinisches Gedicht an Karl XII. von Schweden richtete. Daneben nahm er auch die hohere Analysis wieder auf, indem er in den
Actis Erud.
einen Aufsatz
?Specimen novum analyseos pro scientia infiniti“
veroffentlichte, und daß er nicht minder den Ausbau seiner Philosophie im Auge behielt, bezeugen die Manuscripte
?Considerations sur la doctrine d'un esprit universel“
(1702) und
?Meditations sur la notion commune de la justice";
zu gleicher Zeit sandte er auch an Pierre Bayle behufs Vertheidigung der prastabilirten Harmonie einerseits
?Replique aux reflexions de Bayle“
und andererseits
?Extrait du dictionnaire de M. Bayle article Rorarius de l'edition de l'an 1702 avec mes remarques“.
In Berlin hatte der Wunsch einer Vereinigung der Nichtkatholiken dazu gefuhrt, daß ein formliches
Collegium irenicum
ins Leben trat, welches nunmehr, nachdem die allgemeine Reunion mißlungen war, die Scheidewand gegen die Katholiken verscharfte, und da ein Mitglied dieses Friedensvereines, Joh. Jos. Winkler, insgeheim beim Konige eine Denkschrift
?Arcanum regium“
eingereicht hatte, welche auf ungehorigem Wege zum Drucke gelangte (1703) und den vollsten Absolutismus des Summepiscopates empfahl, richtete hieruber
L.
an die Helmstadter
theologische
Facultat ein einschneidend kritisches Gutachten; auch nahm derselbe an der theologischen Disputation, welche im Marz 1703 in Lutzenburg unter Anwesenheit der Konigin gehalten wurde, keinen Theil. Etwas verstimmt kehrte er im Mai nach Hannover zuruck, wo er wieder die englische Succession in einer Denkschrift
?Sur les interets de l'Angleterre“
besprach und seiner Trauer uber den unglucklichen Zustand des Reiches in einem Manuscript
?Fruits de la campagne de l'an 1703“
Ausdruck gab, woran sich gegen Ende des Jahres das Promemoria knupfte
?Propositions de mettre l'electeur George Louis de Brunsvic-Lunebourg a la tete d'une grande armee“
(wirklich ausgefuhrt wurde dieser Gedanke erst 1707 durch Kaiser Joseph I.). Im folgenden Jahre, dessen Monate August und September er wieder in Lutzenburg zubrachte, sandte er an den Kurfursten Friedrich August von Sachsen eine Denkschrift betreffs Errichtung einer Akademie in Dresden (ein Gedanke, welcher doch wol an eine unrichtige Adresse gerichtet war) und im October 1704 verfaßte er ein ?Memoriale an den Kurfursten Johann Wilhelm von der Pfalz wegen Errichtung einer Akademie der Wissenschaften in Wien“. d. h. er wollte diesen ausgesprochensten Jesuitenfreund als Mittel benutzen, um bei desselben kaiserlichem Schwager Leopold I. einen langst gehegten Plan anzuregen. Die Hoffnung, nach Hugo's Tod (August 1704) die Stelle eines Vicekanzlers zu erlangen, zerschlug sich, und behufs einer Besserung der außeren Lage reichte er beim Konige ein
?Memoire de Leibniz sur ses services pour le roi de Prusse“
ein, worauf er auch wirklich die Summe von 1000 Thlr. erhielt. Außer einem lateinischen Gedichte auf die Schlacht von Hochstadt (13. August) und einem kleinen ironischen Aufsatze
?La theologie des princes“
(d. h. eine witzige Formulirung eines rein politischen Glaubensbekenntnisses) verfaßte er 1704 einen seiner wichtigsten philosophischen Entwurfe, namlich
?Nouveaux essais sur l'entendement humain“
, worin er sich grundsatzlich mit Locke's Empirismus auseinandersetzte und seine eigene Erkenntnißlehre naher entwickelte, woruber er kurz vorher (December 1703) bereits Andeutungen in einem langeren Briefe an Sophie Charlotte gegeben hatte; desgleichen durfte in diese Zeit die Vollendung des fur die Konigin bestimmten Manuscriptes der Theodicee fallen. In diesen Jahren begann auch wieder eine ausgedehnteste Correspondenz Leibniz's, welche bis zu dessen. Tod sich fortsetzte und hauptsachlich das Gebiet der hoheren Analysis, sowie der Dynamik und Mechanik betraf; so vor allem mit dem Mathematiker Jakob Hermann, welcher eine Vertheidigung Leibniz's gegen die Angriffe des oben erwahnten Nieuwentiit unternommen hatte (s. Allg. d. Biogr., Bd. XII, S. 181 f.), ferner mit Varignon in Paris, welcher dort neben De l'Hospital der einzige Anhanger der Differentialrechnung war, mit Guido Grandi in Pisa, mit Zendrini in Venedig, daneben uber mancherlei andere Gegenstande Briefwechsel mit dem Secretar der Pariser Akademie, Fontenelle, und mit dem Jesuiten Orban. Wahrend
L.
von Januar bis Marz 1705 wieder in Berlin war, starb am 1. Februar die Konigin Sophie Charlotte, welche sich auf Besuch in Hannover befand; aufs tiefste erschuttert, verfaßte er einen Lebensabriß seiner hohen Gonnerin, und der kurfurstlichen Mutter derselben spendete er Trost in mehreren Briefen, in welchen er die Unsterblichkeitsfrage im Zusammenhange mit der Monadenlehre besprach. Nach Hannover zuruckgekehrt, erfuhr er deutliche Aeußerungen einer Verstimmung des Hofes uber seine wiederholte Abwesenheit, und eine Cabinetsordre ertheilte ihm den Befehl, daß er nunmehr an der welfischen Geschichte fortarbeiten solle. Zugleich war er durch erneute Zwistigkeiten der Furstenhauser veranlaßt, einen
?Discours sur les differents de la cour de Hannover avec la cour de Berlin“
(1705) zu verfassen, und auch in der englischen Successionsangelegenheit handelte es sich jetzt um Gutachten uber die Modalitaten der Ausfuhrung, namlich
betreffs
der Frage, ob ein Mitglied des Hauses Hannover nach England gehen solle und ob von dort her ein Jahrgeld fur die Kurfurstin festzustellen sei, woruber
L.
einen lebhaften Briefwechsel mit Schulenburg fuhrte. In die gleiche Zeit fallen die philosophischen Aufsatze
?Considerations sur le principe de vie“
und
?De modo distinguendi phaenomena realia ab imaginariis“
, in welch letzterem er seine idealistische Auffassung der Materie erorterte, sowie auch eine in den
Actis Erud.
erschienene Recension einer Schrift Jaquelot's
?De fidei et rationis consensu“.
Ebendaselbst (1705) zeigte er auch Newton's neueste Arbeit
?De quadratura curvarum“
an, wobei er stark betonte, daß die Differentialrechnung eben seine eigene Erfindung sei, wahrend Newton nicht ohne Entlehnung aus derselben fortwahrend die Lehre von den Fluxionen verwende; bei dem spater ausbrechenden Streite aber verleugnete
L.
bis zu seinem Tode die Urheberschaft dieser Recension. Der folgende Jahrgang dieser Zeitschrift enthalt einen Aufsatz Leibniz's
?De lineae super linea incessu“
, d. h. uber die Erzeugung der Curven durch Bewegung. Mit
L.
trat 1705 auch Christian Wolff, welcher ihm schon fruher seine mathematische Promotionsschrift gewidmet hatte, in langeren Briefwechsel, bei dessen Gelegenheit
L.
demselben (20. August) die Grundzuge der prastabilirten Harmonie mittheilte, was Wolff damals dankbarst in mehreren Antwortschreiben annahm und bekanntlich auch spater in seiner Philosophie sattsam verwerthete, obwol er sich daneben einer autodidaktischen Selbstandigkeit zu ruhmen liebte. Als 1706 der Jesuite De Bosses (s. Allg. d. Biogr., Bd. III. S. 191) von Hildesheim nach Hannover kam, um
L.
zu besuchen, knupfte sich hieran ein dauernder inniger Verkehr, indem jener die Absicht kund gab, die Lehre von den Monaden und der prastabilirten Harmonie mit dem scholastischen Aristotelismus zu vereinbaren, und dafur
L.
an denselben zahlreiche Briefe uber philosophische und theologische Fragen richtete, wobei als hauptsachliche Gegenstande die Erbsunde und das Abendmahl der Katholiken und Protestanten in den Vordergrund traten. Eine Folge davon war, daß
L.
, welcher die ausgedehnte Materie als ein bloßes dem Regenbogen vergleichbares Phanomen bezeichnete, da die Korper wesentlich Complexe von Monaden seien, nun durch die Einwande des genannten Jesuiten sich zu dem Zugestandnisse verleiten ließ, daß, wenn es reale Korper (z. B. der Leib Christi) geben soll, welche nicht Phanomene sind, eben ein
vinculum substantiale
der vielen Monaden anzunehmen sei. Durch dynastische Interessen war
L.
wieder zur Abgabe verschiedener Gutachten veranlaßt; als es sich namlich um den Plan der Vermahlung der braunschweig-wolfenbuttelschen Prinzessin Elisabeth Christine mit dem spanischen Thronpratendenten Erzherzog Karl handelte, kam um der spanischen Thronfolge willen der Uebertritt derselben zur katholischen Kirche in Frage, und wahrend die Helmstadter theologische Facultat diesen Confessionswechsel gut hieß, mußte
L.
auf Befehl des Kurfursten Georg Ludwig dagegen seine Stimme erheben, damit nicht etwa seitens Englands wieder Bedenken gegen die hannoversche Succession auftauchen konnten; und
L.
war jetzt auch in der That aus politischen Grunden (wegen der No-Popery-Rufe der Englander) etwas scharfer gegen den Katholicismus und gegen die versohnliche Toleranz der Helmstadter gesinnt. Uebrigens wurde auch eine neuerdings angeknupfte Corresspondenz desselben mit Fabricius, Molanus und dem Herzoge Anton Ulrich durch einen ziemlich schroffen Befehl des Kurfursten (15. November 1706) eingestellt, welcher auf alle weiteren Reunionsbestrebungen verzichtet wissen wollte. Auch bei den Verhandlungen, welche der Vermahlung des preußischen Kronprinzen Friedrich Wilhelm mit der hannoverschen Prinzessin Sophie Dorothea vorhergingen, wurde
L.
beigezogen, und zu der im December stattfindenden Hochzeitsfeier begab sich derselbe wieder nach Berlin, wo er bis Mai 1707 verweilte. Hier wurde ihm wenigstens die
|
Freude, daß als erste Veroffentlichung der Societat der Wissenschaften ein Band
Miscellanea
erschien, aber im ubrigen war kein rechtes Gedeihen der Anstalt bemerkbar, daher er neben abermaliger Betonung seines die Seidenzucht betreffenden Lieblingsgedankens eine Denkschrift uber den Stand der Societat (25. April 1707) an den Konig richtete, dessen Antwort manche trostlichere Hoffnung erwecken konnte. Daneben war er durch Hoheitsanspruche, welche Preußen auf schweizerische Gebietstheile erhob, zur Abfassung eines Gutachtens
?Traite sominaire du droit de Frederic roi de Prusse a la souverainete de Neufchatel et de Valangin“
veranlaßt. Nach Hannover zuruckgekehrt, wurde er (Juni 1707) vom Kurfursten in geheimer Sendung an das schwedische Lager zu Altranstadt bei Leipzig abgeordnet, wo er mit den Gesandten der Großmachte zusammentraf, aber zu keiner Besprechung mit dem Konige Karl XII. gelangte. Verschiedenartigen wissenschaftlichen Interessen begegnen wir wieder in Leibniz's damaligen Briefen an Hanschius
?De philosophia Platonica“
, an Kestner uber Rechtsphilosophie, an Coste
?De la necessite et de la contingence“
, und insbesondere an Papin, mit welchem er uber Dampfkraft, Centrifugalpumpe, Ballistik, Feuerspritzen, Hydrostatik u. dgl. sich außerte und dabei bereits die Idee der jetzigen calorischen Maschinen, sowie selbst des Aneroidbarometers andeutete. Eine Hauptsache aber war, daß 1707 der erste Band der
?Scriptores rerum Brunsvicensium“
erschien, d. h. der Beginn einer Sammlung mittelalterlicher Quellenschriften, deren Zahl in den weiteren Fortsetzungen (1710 und 1711) auf 157 Stucke anwuchs, sodaß fur das daneben begonnene Hauptwerk der
?Annales“
ein reiches Material vorlag, welches sich nicht blos auf das welfische Regentenhaus beschrankte, sondern auch weit auf die Universalgeschichte ausdehnte. Nachdem
L.
dieses erste großere Ergebniß, bei welchem er einigermaßen durch den oben genannten Eckhart unterstutzt worden, vorgelegt hatte, erbat er sich vom Kurfursten einen Geldzuschuß und fur die Fortsetzungen ein Bogenhonorar von 2 Thlrn., was ebenso erfolglos war, als das (1708) gestellte Gesuch um die Mittel zur Durchforschung des Munchener Archives, welche nach der Meinung des Kurfursten
L.
auf seine eigenen Kosten unternehmen sollte (der jungst veroffentlichte Briefwechsel Leibniz's mit dem Minister v. Bernstorff gibt uber diese unangenehmen Verhaltnisse vielfachen Aufschluß). Im Spatherbste 1708 ging
L.
, nachdem er seine jahrliche Karlsbader Cur beendet hatte, heimlich und unter dem Pseudonym ?Freybach“ nach Wien, wo er wieder betreffs der Grundung einer Akademie den Boden sondirte und auch mit dem dort accreditirten russischen Gesandten v. Urbich bekannt wurde, welcher alsbald an Peter d. Gr. zwei Denkschriften ubermittelte, worin
L.
den Wunsch aussprach, daß in Rußland Bibliotheken, Laboratorien, Observatorien (besonders bezuglich der Abweichungen der Magnetnadel) und Sanitatscollegien eingerichtet, sowie ein schnellerer Verkehr mit China hergestellt werden moge. Von Wien reifte er anfangs Januar 1709 wieder nach Berlin, wo er einige Wochen durch die Fortsetzung der
Miscellanea
aufgehalten war, dann besuchte er Leipzig, um einen Mitarbeiter fur die Annalen ausfindig zu machen, und Ende Februar traf er in Hannover ein, woselbst man seit Monaten gar nicht gewußt hatte, wo er sei (der Kurfurst beabsichtigte einmal, in den Zeitungen eine Belohnung fur denjenigen auszuschreiben, welcher
L.
wiederfinden wurde). Die erwahnte Frage uber das
vinculum substantiale
veranlaßte ihn zu mehreren Briefen an Des Bosses und zu einem Aufsatze im Journal des Savans (1709)
?Reponse aux objections du P. Lami“
, welchem (1708)
?Remarques sur un endroit des Memoires de Trevoux“
vorausgegangen waren; neben einem Briefe an die Kurfurstin Sophie (April 1709) uber Theodicee ist wol ungefahr um diese Zeit das Manuscript
?Remarques sur le sentiment de Malebranche“
entstanden. Im J. 1710 erschien die neue
Ausgabe
von Adlzreiter's
Annales Boicae gentis
(s. Allg. d. Biogr., Bd. I, S. 88) in deren Vorrede
L.
linguistische Untersuchungen uber den Ursprung der Baiern einflocht, und hieran knupfte sich
?Brevis designatio meditationum de originibus gentium“
, worin er den Gedanken einer allgemeinen Sprachen- und Volkertabelle verfolgte. Zur selben Zeit verfaßte er
?Commentatio de anima brutorum“
, sowie einen Brief an Wagner
?De vi activa corporis“
und eine theistische Gegenschrift gegen Toland's
Adeisidaemon.
Auch veroffentlichte er jetzt die im Verkehre mit Sophie Charlotte entstandene Hauptschrift unter dem Titel
?Essais de Theodicee sur la bonte de Dieu, la liberte de l'homme et l'origine du mal“
(1710), welcher als Einleitung ein
?Discours de la conformite de la foi avec la raison“
vorangeht und am Schlusse ein dreifacher Anhang beigefugt ist, namlich
?Reflexions sur l'ouvrage que M. Hobbes a publie de la liberte, de la necessite et du hazard“
, hierauf
?Remarques sur le livre de l'origine du mal“
(d. h. uber eine Schrift des englischen Bischofes William King) und zuletzt ein lateinischer Aufsatz
?Causa dei asserta per iustitiam eius cum ceteris eius perfectionibus cunctisque actionibus conciliatam“.
Er laßt in dieser Gesammtdarlegung allerdings die Grunddogmen des Christenthums im Ganzen unberuhrt und entwickelt gewissermaßen eine Vernunftreligion, aber alles tragt eben doch so sehr den Charakter eines Erbauungsbuches, daß der Jesuite Des Bosses keinen Anstand nahm, eine lateinische Uebersetzung des Werkes zu veroffentlichen und dabei Glaubenssatze des Katholicismus voranzuschicken; erklarlich ist es daher auch, daß eine innere Uebereinstimmung der Theodicee mit der Monadenlehre nicht herzustellen ist und das Hauptproblem der Herkunft des Bosen eine Losung findet, welche vom Standpunkte der Philosophie aus als außerst schwach bezeichnet werden muß. Wenn aber spater der bekannte Tubinger Theologe und nachmalige Universitatskanzler Chr. Matthaus Pfaff auf seine Meinungsaußerung, daß die Theodicee wol nur zu scherzhaftem Vergnugen erdacht sei, die briefliche Antwort Leibniz's (vom 2. Mai 1716) erhielt, es sei hiermit der Nagel auf den Kopf getroffen und nur zu wundern, daß bisher noch Niemand dies Spiel bemerkt habe, so werden wir uns in dieser mehrfach besprochenen Sache Jenen anschließen mussen, welche annehmen, daß
L.
dem hochfahrenden Gottesgelehrten gegenuber sich einer Ironie bedient habe, da er ja schalkhaft beifugt, die Philosophie musse eben haufig in Gestaltung von Hypothesen ihre Krafte versuchen, wahrend der theologische Professor Pfaff bei Widerlegung von Irrthumern den Theologen spielen musse. In Berlin erhielt im December 1710 die Societat der Wissenschaften ohne Leibniz's Vorwissen einen neuen Director an dem Minister v. Printzen, woruber
L.
, wie man gerne zugeben wird, in einige Verstimmung gerieth, wenn er auch nach brieflicher Aussage die Personenwahl selbst nicht ungern sah; ja er begab sich, ohne von seinem Kurfursten beurlaubt zu sein, nach Berlin zu der am 19. Januar 1711 stattfindenden Festfeier, durch welche die jetzt so genannte ?Akademie der Wissenschaften“ gleichsam ihre eigentliche Inauguration finden sollte, wobei er sich allerdings in einer etwas schiefen Stellung sah; doch klarten sich die Verhaltnisse allmahlich, und er wurde auch zum Entwurfe eines neuen Reglements aufgefordert. Seine ?Denkschrift uber den Zweck und Bestand der Societat“ enthalt wol die Klage, daß eine gewisse Kalte bestehe, erortert aber dann mit sichtlichem Interesse fur die Sache die Nothwendigkeit einer schwungvolleren Thatigkeit und einer reichlicheren Fundirung der Anstalt; daneben richtete er ein Promemoria ahnlichen Inhalts ?An den Konig Friedrich I. von Preußen“. Da ihm nun von Hannover aus die Ruckkehr dringend nahe gelegt wurde, reiste er am 7. Mai wieder ab und zu Hause angekommen, schrieb er eine ?Kurze Erzahlung von der Stiftung und Einsetzung der kgl. preußischen Societat der Wissenschaften“. Eine abermalige
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Correspondenz uber die englische Succession kam in Verbindung mit dem neuen Plane, die anglicanische Kirchenverfassung und Liturgie in Preußen und Hannover einzufuhren, welcher jedoch bald wieder einschlief; Briefe an Des Maizeaux, den Herausgeber des Bayle’schen
Dictionnaire
, betrafen die prastabilirte Harmonie. Im September 1711 erhielt
L.
betreffs der Vollendung der Annalen einen seinen Fleiß uberwachenden Mitarbeiter an Eckhart, welchen der Kurfurst zu diesem Zwecke von der Helmstadter Professur dispensirte. Auf Veranlassung des russischen Gesandten v. Urbich begleitete
L.
im October den Herzog Ulrich von Braunschweig, dessen Tochter mit Peter, dem Sohne Alexei's, verlobt war, nach Torgau, woselbst die Vermahlungsfeier stattfand und
L.
(20. October 1711) eine Audienz bei Peter d. Gr. erlangte; dabei wurden theils die Finanzverhaltnisse Rußlands besprochen, theils auf die nothwendige Forderung linguistischer und physikalischer Forschungen, insbesondere der Beobachtung der Magnetnadel, im russischen Reiche hingewiesen, und der Kaiser gab auch das Versprechen, derartige Plane unterstutzen zu wollen. Da
L.
nach seiner Heimkehr beauftragt wurde, fur Peter d. Gr. eine Rechenmaschine zu besorgen, knupfte sich hieran ein langerer Briefwechsel mit dem Hofprediger Teuber in Zeitz, welcher den Mechaniker Beßler bei Herstellung der Maschine uberwachte (letzterer, welcher sich Orffyreus nannte, war ein eigenthumliches Genie und ruhmte sich stets, das
Perpetuum mobile
wirklich erfunden zu haben). Mit all seinem Feuereifer aber verfolgte
L.
den Gedanken, die wissenschaftlichen Zustande Rußlands zu heben; außer Briefen an den Feldzeugmeister Leßczynski und den Gesandten Schleiniz richtete er (1712) an Peter d. Gr. unmittelbar oder mittelbar mehrere Schriftstucke, namlich
?Projet d'un conseil superieur des sciences et arts pour le Czar“
, dann ?Denkschrift uber Untersuchung der Sprachen und Variation des Magnetes im russischen Reiche“, sowie ?Denkschrift uber die Verbesserung der Kunste und Wissenschaften im russischen Reiche“, ferner ?Specimen einiger Punkte, darin Moskau denen Scienzen beforderlich sein konnte“ und ?Denkschrift fur S. M. den Czar Petrus I. uber eine Societat der Wissenschaften in Rußland“, woran sich ein Statutenentwurf einer in Petersburg zu errichtenden Akademie knupfte (verwirklicht wurde dieser Plan Leibniz's erst 1725). Vom Czaren wurde er hierauf nach Karlsbad eingeladen, wo er vom 20. October bis 11. November verweilte und am 1. November die Ernennung zum geheimen Justizrath nebst Jahresgehalt von 1000 Thlrn. empfing, worauf er den neuen kaiserlichen Gonner noch nach Dresden begleitete. Neben der auf Rußlands geistigen Fortschritt abzielenden Thatigkeit hatte
L.
1712 in die
Acta Erud.
einen Aufsatz ?Ueber die Moglichkeit von Logarithmen negativer Zahlen“ geliefert und in das
Journal des savans
eine ausfuhrlichere Ueberarbeitung einer fruher (1702, s. oben) an Pierre Bayle gerichteten Schrift, jetzt betitelt
?Reponse aux reflexions contenues dans la seconde edition du dictionnaire critique de M. Bayle";
mit großter Wahrscheinlichkeit ist auch das Manuscript
?Examen des principes de P. Malebranche“
in das J. 1712 zu setzen. Von Dresden aus kehrte
L.
nicht nach Hannover zuruck, sondern begab sich eigenmachtig nach Wien, indem er wohl einen Privatauftrag vom Herzog Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbuttel besaß, aber beim Kurfursten Georg Ludwig nicht um Urlaub nachgesucht Hatte. Von Wien her hatte er schon zu Anfang dieses Jahres Ehren empfangen, indem er dort (auf Fursprache des genannten Herzogs) durch Decret vom 2. Januar zum Reichshofrath ernannt worden war (ob er, wie man gemeiniglich annahm, auch die Wurde eines Reichsfreiherrn erhielt, ist immerhin zweifelhaft; jedenfalls wurde sein Name nicht formell in die Liste eingetragen). Er verweilte in Wien bis zum September 1714 und gerieth hierdurch erklarlicher Weise in eine mißliche Stellung zum hannoverschen Hofe,
zumal
da er sich bereits zu Anfang seines Aufenthaltes neben dem Titel um die wirkliche Function und Besoldung eines Reichshofrathes bewarb. Nachdem im Januar 1713 aus Hannover eine Mahnung zur Heimkehr eingetroffen war, suchte er nachtraglich um die Erlaubniß nach, in Wien das Amt des Reichshofrathes ubernehmen und dabei in hannoverschem Dienste bleiben zu durfen, woraus er nach langem Warten ein ungnadiges Antwortschreiben empfing; ja der Gesandte Hannovers in Wien warnte den Kaiser Karl VI. vor Leibniz's Projectenmacherei. Aber nachdem einmal ersichtlich war, daß
L.
durch Kaiser und Hof festgehalten sei, erhielt er (April 1713) aus Hannover Auftrage, in der damals streitigen Lauenburger Angelegenheit seinen Einfluß zu bethatigen; jedoch bezuglich der Fortsetzung der liegengebliebenen geschichtlichen Arbeiten wurde (1713) die Fursorge getroffen, daß Eckhart dauernd nach Hannover umsiedle, welcher dann 1714 auch wirklich zum welfischen Historiographen ernannt wurde. In Wien waren es die dem Utrechter Frieden vorhergehenden Verhandlungen, durch welche
L.
wieder in die europaische Politik beigezogen und zur Abfassung zahlreicher Gutachten u. dgl. veranlaßt war. Vor dem Abschlusse des Friedens schrieb er: ?Denkschrift uber die politische Weltlage“, ferner ?Kurzes Bedenken uber den gegenwartigen Lauf des gemeinen Wesens“ und
?Consultation abregee sur l'etat present des affaires“
, sowie
?Projet d'alliance avec les puissances du Nord“
und einen kurzen Aufsatz
?Moysens“
, in welch sammtlichen er Vertrauen auf die gute Sache und demnach muthvolles Wagen nebst Opfermuth an Geld und Truppen forderte; und da eine anonyme Schrift
?Soupirs d'Europe“
und im Anschlusse hieran ein franzosisch gesinnter Brief erschienen waren, verfaßte er
?Reflexions d'un Hollandois sur la lettre contre les soupirs d'Europe“.
Nachdem aber der Friede (April 1713) zu Stande gekommen war, erorterte
L.
in der ausfuhrlichen Schrift
?La paix d'Utrecht inexcusable“
die Vernunftwidrigkeit und Rechtswidrigkeit des nur durch Luge und Feigheit ermoglichten Friedens; außerdem verfaßte er
?Considerations relatives a la paix ou a la guerre“
, worin er darlegte, daß, wenn der Krieg fortgesetzt werde, dies mit allen Mitteln und allseitigster Fursorge geschehen musse (wobei er weder die Montur der Soldaten, noch die Arzneien der Feldarzte vergaß), ferner
?Nouvelles reflexions sur l'etat des affaires“
und
?Memoire a l'empereur Charles VI. au sujet de la succession d'Angleterre“
(Juli), dann
?Lettre d'un patriote a la serenissime repudlique de Venise“
und ein Lehrgedicht
?Fabula moralis“
betreffs der Nothwendigkeit grundlicher Ausdauer in der Politik; selbst zum Humor griff er in der Schrift ?Wunderliche und romaneske Einfalle die Staatsgeschafte betreffend“ (Juni), worin er schildert, wie man in ganz Europa die Dinge einrichten konnte, wenn ?Fortuna tanze, wie wir pfeiffen“. Unterdessen war bezuglich der mathematischen Leistungen Leibniz's in England eine schon fruher durchblickende Feindseligkeit so weit herangereift, daß sie in einer litterarischen That in die Oeffentlichkeit gelangte; nachdem namlich bereits 1708 Johann Keil in den
Philosophical Transactions
erklart hatte,
L.
habe lediglich die Newton’schen Fluxionen mit verandertem Namen und anderen Zeichen herausgegeben, und spater ebendort (1711) in etwas milderer Form die Identitat der Differenzialrechnung mit den Fluxionen behauptet hatte, woruber sich
L.
ebendaselbst (December 1711) beschwerte, trat am 24. April 1712 in London eine von der Royal Society gewahlte Commission zusammen, welche auf Grund eben dieser Annahme einer Identitat der beiden Methoden den Ausspruch that, daß der neue Calcul der Zeit nach von Newton fruher erfunden worden sei, wahrend
L.
nur die Prioritat der Veroffentlichung beanspruchen konne. Und in diesem Sinne erschien in London auf Anstiften Newton's noch 1712 das
?Commercium, epistolicum Joh. Collinsii aliorumque de analysi promota“
, worin
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Leibniz's Verdienst verneint war, eine anderartige und in der That eine vollkommenere und durchgebildetere Methode erfunden zu haben, welche in Folge einer sachgemaßeren Wahl der Zeichen sich auch wirklich fruchtreicher fur die Fortbildung der hoheren Analysis erwies. Ein Exemplar jener
?Commercium“
betitelten Schrift war 1713 an Christian Wolff geschickt worden, und durch diesen erfuhr der in Wien weilende
L.
die Sache, welcher aber dort von seinen Papieren entbloßt, sich darauf beschranken mußte, einen langeren Brief Joh. Bernoulli's (vom 7. Juli) zu excerpiren und somit am 29. Juli 1713 ein Flugblatt
?Carta volans mathematici“
zu veroffentlichen, worin er seinerseits allerdings wieder zu weit ging, indem er die Methode der Fluxionen geradezu als ein Plagiat aus der Differenzialrechnung bezeichnete. Das Manuscript Leibniz's
?Historia et origo calculi differentialis“
, welches keinenfalls fruher verfaßt sein kann und auch immerhin als eine Parteischrift betrachtet werden muß, enthalt nicht mehr jenen schroffen Vorwurf, sondern sucht nachzuweisen, daß Newton eigentlich nur von der alten sogen. Exhaustionsmethode hergekommen sei und sonach die Fluxionsmethode uberhaupt sich von der aus dem Tangentenproblem erwachsenen Differentialrechnung unterscheide. Nach der Ruckkehr aus Wien beabsichtigte
L.
, ein anderes
Commercium epistolicum
entgegenzustellen, aber es fehlte ihm hierzu theils die Geduld, theils die nothige Ordnung des handschriftlichen Materiales (Newton aber gab nach Leibniz's Tode eine zweite Auflage des
Commercium
heraus). In Wien aber, wo
L.
trotz der grassirenden Pest und eigener korperlicher Leiden ausharrte, war er seit Anfang 1714 wieder mit politischen Fragen beschaftigt; der Kaiser zog ihn nicht nur uber Besserung der Finanzlage zu Rathe, sondern beauftragte ihn auch mit einem Gutachten uber die Erbfolge in Toscana, und insbesondere waren es wieder die dem Rastatter Frieden (7. Marz 1714) vorhergehenden Verhandlungen, woruber
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drei Denkschriften verfaßte, namlich
?Considerations sur la paix qui se traite a Rastadt“
(an den Kaiser gerichtet in abrathendem Sinne) und
?Reflexions politiques faites avant la paix de Rastadt“
und ?Wie die Friedensunterhandlungen einzurichten vor dem Rastadter Frieden“. Nach dem Abschlusse des Friedens faßten englische Kapitalisten den Plan, Kaiser Karl VI. zu unterstutzen, wenn er Frankreich mittelbar durch einen Ueberfall der spanischen Colonien in Westindien angreifen wolle, und der Schotte Ker von Kersland, welcher hierfur als Unterhandler wirkte, wurde von
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unterstutzt, indem dieser einen gunstigen ?Bericht an den Kaiser uber die Kerslandischen Verhaltnisse“ verfaßte, wozu noch ein
?Memoire sur l'alliance de l'empereur avec le roy d'Angleterre“
und eine sehr kurze Schrift
?Memoire pour des armements de mer sous commission de sa majeste imperiale“
kamen. Wahrend
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neuerdings uber die englische Succession in Briefwechsel mit Schulenburg und der Kurfurstin Sophie stand, starb letztere am 8. Juni 1714, und hierdurch verschwand der letzte Rest eines idealen Verhaltnisses, durch welches er sich bis dahin immer noch an Hannover geknupft fuhlte. Der Kurfurst Georg Ludwig hatte ihm schon im vergangenen Herbste den Gehalt sistirt und wollte nun aus politischem Argwohn ihn an die gemeinschaftlich mit Eckhart fortzufuhrende Arbeit binden, worauf
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(Juli) mit der Bitte um einige Rucksichtnahme antwortete, da es ihm jetzt unmoglich sei, Wien zu verlassen. Dort namlich stand er in lebhaftem Verkehre mit dem Prinzen Eugen von Savoyen (s. Allg. d. Biogr. Bd. VI, S. 420), fur welchen er auf dessen Wunsch uber einige Punkte der Theodicee Aufklarung zu bekommen, eine kurze Zusammenfassung seiner philosophischen Anschauungen in franzosischer Sprache unter dem Titel
?Monadologie“
niederschrieb (gedruckt erschien dieselbe erst 1720 in einer von Kohler gemachten deutschen Uebersetzung und hieraus 1721 in den
Actis Erud.
in lateinischer Uebersetzung, welche unter dem Titel
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?Principia philosophiae“
in Dutens' Gesammtausgabe wieder abgedruckt ist; den franzosischen Originaltext gab erst Erdmann). Außerdem wandte er all seinen Einfluß auf, in Wien die Grundung einer Akademie der Wissenschaften zu veranlassen und verfaßte zu diesem Zwecke
?Societatis imperialis germanicae designatae schema“
, sowie ?Kaiserlich deutsche Societat der Wissenschaften“ nebst ausfuhrlichem Statutenentwurfe, woran sich noch ?Errichtung eines Notiz-Amtes“ knupfte, d. h. der Plan, mit der Akademie ein allgemeines Adreßbureau zu verknupfen, dessen Vermittelung in allen moglichen Angelegenheiten angerufen werden konne. Er befurwortete die Akademie in Briefen an den Prinzen Eugen und an Kaiser Karl VI., ja letzterer versprach ihm bei der Abreise die Erfullung seines Wunsches, aber die Sache scheiterte an der Opposition der Jesuiten. Wiederholte Gesuche Leibniz's um die Bestallung eines wirklichen Reichshofrathes wurden schließlich durch ein Decret beantwortet, welches ihm 2000 Gulden zuerkannte, aber zur Ausbezahlung kam die Summe nie. Ende September 1714 kehrte er nach Hannover zuruck, von wo jedoch Georg Ludwig bereits am 11. September nach England abgereist war und dort als Georg I. den Thron bestiegen hatte.
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beabsichtigte, seinem Souverane nach London zu folgen, aber die Minister gestatteten es nicht, theils aus politischen Grunden, da
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in Abweichung von ihrer Ansicht jedes Eingreifen in die englischen Parteiverhaltnisse fur bedenklich hielt, theils im Hinblicke auf die unerlaßliche Vollendung des Annalenwerkes. In letzterer Beziehung wurde er durch ein sehr energisches Schreiben des Konigs (30. November) zur Arbeit verwiesen, worauf er (16. December) nicht ohne einige Entrustung antwortete; er gab sich nun wohl moglichst seiner historischen Aufgabe hin, fuhlte aber, daß er in Ungnade sei, und dachte in tiefer Verstimmung daran, seine Tage in Wien oder in Paris oder als Historiograph Englands in London zu beschließen. Neben Briefen an Remond de Montmort uber chinesische Philosophie und sonst uber allerlei philosophische Fragen, an Bourget uber die Theodicee und an Chamberlayne uber Sprachvergleichung ist wahrscheinlich auch das Manuscript
?Principes de la nature et de la grace“
, welches einen der Monadologie ahnlichen Inhalt hat, in das J. 1714 zu setzen. Um dieselbe Zeit hatte er an die Schwiegertochter Konig Georgs I., Prinzessin Karoline von Ansbach, mehrere tadelnde Bemerkungen uber die Gefahrlichkeit der Naturphilosophie Newton's geschrieben, und da hiervon Samuel Clarke Kenntniß erhielt, entspann sich (1715) eine bis zum Tode Leibniz' reichende polemische Correspondenz zwischen diesem und Clarke, wobei es sich um Newton's Auffassung des Raumes als
sensorium dei
, um Materialismus und mathematische Grundlagen der Philosophie, um Gottes Thatigkeit in der Welt, um Teleologie und Monadenlehre handelte;
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selbst beabsichtigte noch, den ganzen Briefwechsel zu veroffentlichen (herausgegeben wurde er spater von England aus
?A collection of papers which passed between the late learned Mr. Leibniz and Dr. Clarke in the years 1715 and 1716“
, und hernach in franzosischer Uebersetzung von Des Maizeaux). Im Fruhjahre 1715 bekam
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allerdings von Hannover wieder den bis dahin eingezogenen Gehalt und im Juni 1716 sogar die Nachzahlung des Ruckstandes, aber bei Bearbeitung des Hauptwerkes
?Annales imperii occidentis Brunsvicenses“
, welches er noch bis zum Jahre 1005 fertig stellte (bekanntlich erst durch Pertz 1843 ff. in 3 Banden herausgegeben, woselbst in der Vorrede Naheres uber die Schicksale des Manuscriptes), mußte er vielen Verdruß durch seinen Mitarbeiter Eckhart erfahren, welcher ihn wiederholt (September und December 1715) beim Minister Bernstorff formlich denuncirte. Auch von Berlin aus wurde ihm eine unliebsame Behandlung zu Theil, indem ihm dort, angeblich auf Wunsch der Mitglieder der Akademie, die jahrlichen 600 Thaler, welche schon einige Zeit ausgeblieben waren, ganzlich sistirt wurden, weil er seit drei bis vier Jahren nichts mehr fur die Societat gethan habe; er erwiderte darauf
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(November 1715), daß die Societat, welche uberhaupt unordentlich wirthschafte, ihn ohne Grund in jeder Beziehung bei Seite gesetzt habe. Er verfaßte in diesem Jahre eine Schrift
?De origine Francorum“
, von welcher er eine Copie auch an Ludwig XIV. schickte, und griff noch einmal in Verhaltnisse Englands ein, als dort eine anonyme Schrift dem whigischen Ministerium vorwarf, daß Handel und Industrie nur auf Kosten der Grundeigenthumer gefordert wurden, was eben
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zu widerlegen versuchte in
?Anti-Jacodite ou faussetes de l'Avis aux proprietaires Anglais“.
Auch das von dem franzosischen Philanthropen Charles Ir
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de Saint-Pierre dargestellte Ideal eines ewigen Friedens besprach er durch
?Observations sur le projet d'une paix eternelle de M. l'Abbe de Saint-Pierre“
, und auf den Tod Ludwigs XIV. (1. September 1715) verfaßte er ein lateinisches Spottgedicht. Das letzte Jahr seines Lebens war neben korperlichen Leiden getrubt theils durch den fortdauernden Streit mit Clarke, theils durch Nergeleien betreffs des Annalenwerkes, indem ihm das Ministerium (Januar 1716) verbot, uberhaupt noch auf Reisen zu gehen, welch unwurdige Behandlung er energisch zuruckwies, und indem bald hernach (21. Februar) hinter seinem Rucken Eckhart mit der Vollendung der Arbeit beauftragt wurde; als eine Nebenfrucht aber der historischen Studien war ein Manuscript
?Collectanea etymologica“
entstanden. Im April kam er in einem Briefe an Conti noch einmal auf den Unterschied zu sprechen, welcher zwischen seiner Differenzialrechnung und Newton's Fluxionen, von welchen er durch Oldenburg gehort habe, bestehe. Eine ruhmende Recension in den
Actis Erud.
uber Jak. Hermann's Phoronomie war das letzte, was er veroffentlichte; den englischen Mathematikern hatte er kurz vorher das Problem der sogenannten rechtwinkligen Trajectorien gestellt, und es war auch von Newton eine Losung desselben eingelaufen, deren Beurtheilung aber
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nicht mehr vollenden konnte. Er war von Pyrmont, wo er (im Juli) wieder mit Peter d. Gr. und auch mit Konig Georg I. zusammengetroffen war, dieses Mal kranker heimgekehrt und die Gicht, welche sich seit einem Jahre auch auf Hande und Schultern geworfen hatte, trat immer heftiger auf; er kurirte auch mit allerlei Mitteln an sich selbst herum und schließlich stellten sich bedenkliche Steinschmerzen ein; am 14. November 1716 verschied er. Seiner Leiche folgte weder ein Geistlicher noch irgend Jemand vom Hofe oder vom Ministerium, nur Eckhart gab ihr die letzte Ehre; kurz
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wurde (wie Ker von Kersland sagte) wie ein Straßenrander begraben. In der franzosischen Akademie hielt Fontenelle auf den Verstorbenen eine Lobrede, zu welcher Eckhart die Materialien lieferte, die Berliner Akademie hullte sich in Schweigen.
Korperlich von mittlerer Statur hatte
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einen großen Kopf mit kleinen Augen, breite Schultern, magere krumme Beine und einen gebuckten Gang; fruher im Ganzen gesund litt er seit dem 50. Lebensjahre an der Gicht. Der Kern seines inneren Wesens lag in einer seltenen Vereinigung vielseitigster Beweglichkeit und zahester Ausdauer, so daß er in rastlosem Thatigkeitstriebe eine eigenthumliche Neigung zeigte, stets Plane und Entwurfe zu machen, welche er mit diplomatisch kluger Feinheit und aalartiger Geschmeidigkeit zu verfolgen und auch unter Hindernissen immer wieder aufzunehmen verstand; zweifellos hatte er hierbei in jeder Beziehung nur das Beste im Auge. aber daß auch eine kleine Beimischung von Ruhmsucht und Eitelkeit sich einstellte, wird kaum verneint werden konnen. Wenn ihm auch Liebe zum Gelde vorgeworfen wurde, so durfte wol zu erwagen sein, daß er, der kein Privatvermogen besaß und in einer wahrlich nicht glanzenden Stellung sich befand, theils durch seine haufigen Reisen, theils durch die mannigfachsten Gutachten und Rathschlage zu reichlichen Opfern an Zeit und Geld genothigt war, fur welche er Ersatz beanspruchen und suchen durfte; noch weniger mag ihm verubelt werden, daß er sich an hohe und hochste
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furstliche Personlichkeiten anschmiegte, denn in damaliger Zeit konnte die Forderung idealer Ziele, welche er verfolgte, uberhaupt nur von Oben ausgehen. Doch selbst wenn ihm die eine oder andere menschliche Schwache anklebte, so sind es seine Leistungen, welchen dauernder Ruhm gebuhrt. Allerdings war er eine lernende und gelehrige Natur, aber mit dieser seiner allseitigen Receptivitat verband sich ein ebenso ausgedehnter thatkraftiger Optimismus, welcher ihm auf dem berechtigten Gefuhle seines eigenen Werthes begrundet war, und wenn seine sammtlichen Schriften in der That eigentlich Gelegenheitsschriften waren, so bethatigte er dabei jedesmal ein eigenthumliches Talent, aus dem Vorhandenen ein moglichst Bestes zu machen. Er sagte selbst, er habe wenige Menschen und wenige Bucher getroffen, aus welchen er nicht Etwas zu seinem Nutzen habe finden konnen; denn er besaß auch in hohem Grade ein Geschick, das Fremde dem Eigenen anzupassen und das Eigene dem Fremden zu nahern, so daß er Alles, was er empfing, von sich aus belebte und Alles, was er ergriff, mit neuen Ideen befruchtete; er brach nie und nirgends kuhn mit dem vorhandenen Ueberlieferten, war aber erfinderisch in Wendungen, welche zu einer Losung des ihm widersprechenden fuhren konnten, und so erblickte er in allen Gegensatzen, welche in Politik oder in Philosophie oder in Religion vorlagen, nur einseitig beschrankte Annahmen, deren berechtigter Kern schließlich in einen harmonischen Ausgleich sich einfugen lasse. So schopfte er uberall aus dem Leben in idealer Richtung fur das Leben, und hierin lag ihm der Sinn seines Lieblingsspruches ?In Worten die Klarheit, in Sachen der Nutzen“, sowie uberhaupt seine fast unermeßliche Leistungsfahigkeit auf die zwei Ziele hinsteuerte: Erkenntniß der Wahrheit und Veredlung der Menschen. Gleichmaßig begabt zu encyklopadischer Allseitigkeit und zu speculativer Tiefe, sowie unterstutzt durch ein ganz außergewohnliches Gedachtniß, strebte er nach Herstellung einer Harmonie zwischen philosophischer Auffassung und forschender Ehrfurcht vor den Thatsachen, und hierauf beruht es, daß er auch bei einzelnen, durch außere Veranlassung hervorgerufenen Gutachten und Denkschriften stets hohere allgemeine Gesichtspunkte hegte. Abgesehen von der historischen Quellensammlung und dem Annalenwerke hat er keine Schrift großen Umfanges veroffentlicht oder verfaßt, da er uberhaupt nicht eigentlich systematisch aufbauend, sondern mehr reflectirend und prufend arbeitete; in allen Gebieten, mit welchen er sich beschaftigte, gab er Entwurfe, Plane, Grundriffe, Versuche, Kritiken und zahlreiche einzelne Aufsatze und Abhandlungen, wozu eine fast unglaubliche Zahl von Briefen hinzutritt, in welchen er gelegentlich einzelne Fragen erledigte (eine in der Bibliothek zu Hannover befindliche Zusammenstellung weist 1054 Personen, darunter allein 32 furstliche, auf, mit welchen er in langerer oder kurzerer Correspondenz stand); zuweilen legte er seine augenblicklichen Empfindungen auch in Gedichten nieder, kurz wo und so oft er eine Anregung fand, gab er von dem Seinigen dazu und suchte hierdurch auf einzelne Personen oder Verhaltnisse einzuwirken, und wenn er dabei ofters eine Pseudonyme Maske oder Anonymitat wahlte, so geschah dies in der Absicht, den Leser unbefangener an den objectiven Thatbestand zu binden. Sein Stil ist erklarlicher Weise im Ganzen ungleichmaßig, ofters etwas weitschweifig, zuweilen auch verwickelt, immer aber sachlich fesselnd, wenn auch nicht jedesmal anziehend oder reizend. ? Durch seine so vielseitig in Anspruch genommene politische Thatigkeit zieht sich als belebendes Motiv die edelste patriotische Gesinnung hindurch, vermoge deren ihm die Erhaltung, Sicherung und Einigung des deutschen Vaterlandes als Endzweck aller Berathungen und Maßnahmen galt, sowie er auch deutsche Gesittung und deutsche Sprache gehoben und gefordert wissen wollte. Eine genaue Kenntniß des Rechtsgebietes befahigte ihn, in Angelegenheiten des Staats- und Volkerrechtes, sowie des Privatfurstenrechtes und des Kirchenrechtes
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berathend mitzuwirken, und seiner Zeit vorauseilend blickte er vielseitigst auf die Aufgaben der Staatswirthschaft, wobei er Fragen uber Binnen- und Seehandel, uber Gewerbe, Maschinen- und Fuhrwesen, uber Assecuranzen und Zolleinigung, uber Besteuerung und Munzwesen beruhrte oder naher erorterte. Als Historiker gab er der Nachwelt ein mustergiltiges Vorbild in Benutzung der Archive, und mit dieser sorgfaltigsten Ausdauer in Sammlung der Quellen verband er den umsichtigsten kritischen Blick; weit uber die Grenzen der ihm gestellten besonderen Aufgabe hinausgreifend legte er mittelst seines lebhaften auf alles menschlich Wichtige gerichteten Interesses den Grund zu einer Umwandlung des ganzen wissenschaftlichen Geistes, indem er eben in der Geschichte den Grundsatz einer stetigen fortschreitenden Entwickelung zur Geltung brachte. Ein gleiches Motiv waltete bei ihm in philologisch-linguistischer Richtung, indem er Stoffsammlung anzuregen versuchte und den Gedanken einer vergleichenden Sprachforschung in sich trug, durch welche eine Classification der Menschheit sich ergeben konne, insoferne das Princip einer ursprunglichen Onomatopoie verbunden mit begrifflichem Allgemeingehalte in der Mannigfaltigkeit der Wortbildungen durchgefuhrt werde. Als Mathematiker erwarb er sich im Gebiete der hoheren Analysis unverganglichste Verdienste, denn wenn auch Newton bereits um 1666 auf eine Methode kam, welche auf dem Begriffe der Function und der Variabilitat beruht, d. h. auf seine Methode der Fluxionen, welche er 1669 handschriftlich an Oldenburg und Collins mittheilte, so war
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1675 der Erfinder der von ihm so bezeichneten Differentialrechnung mit Einschluß des dazu gehorenden Algorithmus; und selbst wenn
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durch eine theilweise Kenntniß des Newton’schen Verfahrens unterstutzt war (woruber ja gestritten werden mag), so hat er jedenfalls von sich aus das entscheidend Beste dazu gethan, durch welches die unbeholfenere Methode der Fluxionen auch thatsachlich verdrangt werden mußte, nachdem durch das Leibniz’sche Verfahren in einheitlicher Durchbildung das wichtigste Mittel zur Losung der bis dahin unlosbaren Probleme gegeben war. Allerdings ist hierdurch nicht etwa Alles gerechtfertigt, was
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in dem spateren leidigen streite gethan oder unterlassen hat; aber die Prioritat selbst konnte ihm nur abgesprochen werden, wenn Fluxionenrechnung und Differentialrechnung vollig identisch waren. Auch im Gebiete der Mechanik und insbesondere der Dynamik war er von weitgreifendem Einflusse auf Joh. Bernoulli und dessen Nachfolger durch die Unterscheidung zwischen todten und lebendigen Kraften. Ausgedehnte Kenntnisse der Controverstheologie und der Kirchengeschichte verwerthete er in den damaligen Unionsbestrebungen zweifacher Richtung, wobei neben mancherlei außerer Nothigung ihm ein speculatives Ideal vorschwebte, indem er meinte, es lasse sich fur Hauptfragen der Religion eine rationell naturliche Begrundung finden und es werde hierdurch eine harmonische Vereinbarung der sogenannten naturlichen Theologie mit der geoffenbarten ermoglicht, worauf sich eine universelle Kirche mit einem gewissen Grade hierarchischer Verfassung aufbauen konne. Sowie er in solcher Weise an eine speculative Vergeistigung der Theologie dachte, welche gleichsam neben den Glaubenssatzen der Religion einhergehe, so besitzt auch seine Philosophie eine theologisirende Kehrseite, deren Geprage in zahlreichen Aufsatzen und hauptsachlich in der Theodicee vorliegt. Die Monadenlehre, welche den Kern der eigentlich systematischen Denkweise Leibniz' bildet, mochte bei ihm wol durch Beschaftigung mit Giordano Bruno hervorgerufen worden sein, zeigt aber jedenfalls eine innere Verwandtschaft mit dem Begriffe der lebendigen Krafte, indem er in der Thatigkeit den wahren Bestand des substantiellen Wesens erblickte; die unendliche Mannigfaltigkeit aber der Abstufungen dieser in einem Vorstellen bestehenden individuellen Thatigkeit faßte er in dem Begriffe einer prastabilirten Harmonie zusammen, vermoge deren alle Veranderungen im
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Universum parallel gehen und in jeder Monade sich spiegeln. Die Darlegung der denkenden Monade fuhrte ihn zu einem Gegensatze gegen den Locke’schen Empirismus und zu einer Unterscheidung zwischen rationeller und empirischer Wahrheit. Hierdurch aber war er von großtem Einflusse auf Christian Wolfs und folglich mittelbar auf die gesammte deutsche Philosophie des 18. Jahrhunderts, sowie er betreffs des Verhaltnisses zwischen Leib und Seele fur jene Zeit den Anstoß zu den zahlreichen psychologischen Controversen uber den sogenannten
influxus physicus
gab. So ubte er in mehreren Zweigen der Philosophie eine nachhaltige befruchtende Wirkung aus, welche selbst jetzt noch theilweise im Herbartianismus bemerklich ist, wahrend ihm im Gebiete der hoheren Mathematik geradezu der Ruhm eines Urhebers aller nachfolgenden Entfaltung gebuhrt, sowie die Geschichtschreibung in ihm einen Vorlaufer moderner Forschungsweise verehren darf und die deutsche Vaterlandsliebe dankbar zu einem solchen Vorbilde aufblickt.