Zum
Kunstkonzept von
Arnold
Hauser
(1892-1978)
- ⓒ
Dr.
Lebus
,
Greifswald
- Germany
uberpruft
24.
5. 2010
(erstellt Dezember 2000 mit Netscape Composer, 800 x
600)
Der Text von 1989 ist urheberrechtlich geschutzt, veroffentlicht und
bekannt !
Zum Kunstkonzept
Arnold
HAUSERs
(
1989/90)
[In:
Weimarer Beitrage, Berlin 36 (1990) 6, S.
910 - 928
]
|
Asthetiker
und Kunstwissenschaftler unseres Landes greifen seit langerem - vornehmlich bei
der Klarung kunsthistorischer Sachverhalte - auf Werke Arnold Hausers
(1892-1978)
zuruck. Der nachhaltige Eindruck, den 1953 die
Sozialgeschichte der Kunst
und Literatur
zunachst hervorgerufen hatte, verblasste jedoch mit der Zeit.
Dennoch kann ihre 1987 erstmalig in der DDR erfolgte Ausgabe auf eine
entsprechende Nachfrage und damit auch auf vorhandene Lucken
kunstgeschichtlicher Uberblicksdarstellungen verweisen. Der namhafte
Kunsthistoriker und Kunstsoziologe
bleibt
somit im
Gesprach!
Seine
Schriften haben seit den funfziger Jahren in den kunst- und
literaturwissenschaftlichen Diskussionen, insbesondere in der BRD, eine
zunehmende Rolle gespielt. Die damals in den burgerlichen Kunstwissenschaften
Westeuropas dominierenden werkimmanenten Interpretationsverfahren liefen
teilweise auf eine Entpolitisierung von Kunst hinaus und favorisierten einen
asthetizistischen Hedonismus. In Abgrenzung zu diesen Tendenzen ruckte Hauser
in seinen Arbeiten das Verhaltnis von Kunst und Gesellschaft in den
Mittelpunkt. Er hielt die "Stunde der soziologischen Deutung" fur
gekommen.
Die
Außenseiterrolle der zweibandigen
Sozialgeschichte
in den fruhen
funfziger Jahren ist aber nicht zu ubersehen. Georg Lukacs resumierte in einem
Radiogesprach mit Hauser: "Wenn ich nun von Ihrem Werk sprechen darf, so
betrachte ich es als eines seiner ungewohnlichen Verdienste, dass es inmitten
dieser uberwaltigenden neopositivistischen Stromung in einer betrachtlichen
Anzahl von Soziologen und Historiker den schwindenden Sinn fur die wirklichen
Zusammenhange aufrechterhielt. Ob dies nun auf eine ausgesprochen marxistische
Art geschieht oder nicht, halte ich fur nebensachlich."
Fur viele Leser wirkte die
Sozialgeschichte
wie eine
"Offenbarung... und offnete wieder den Blick fur historische
Fragestellungen." Die damalige Kritik in der BRD reagierte auf Hausers
Werk keineswegs einhellig. Theodor W. Adorno und Max Horkheimer lobten die
Sozialgeschichte
als ein verbindliches Zeugnis soziologischer Kunstanalyse und deren
gluckliche Gesamtdarstellung. Martha Mierendorff und Heinrich Tost hingegen
zahlten sie zu den vulgarsoziologischen und ideologischen Arbeiten des
Marxismus. Uberwiegend wurde der materialistische Ansatz Hausers ignoriert oder
abgelehnt, selbst im Ausland fanden die Vertreter eines sozialgeschichtlichen
Konzepts wie Hauser und Friedrich Antal keine liberalere und tolerantere
Behandlung, konstatiert Norbert Schneider.
Der Sozialgeschichte der Kunst und Literatur,
die auf
etwa 1000 Seiten die Entwicklung der europaischen Kunst bis zur Entstehung des
Tonfilms nachzeichnet, folgten weitere Arbeiten. Hauser ist eben nicht nur der
Verfasser der allbekannten
Sozialgeschichte,
sondern auch umfangreicher
theoretischer Schriften, die zwar weniger zur Kenntnis genommen werden, fur ein
Gesamtverstandnis aber unverzichtbar sind. Gewissermaßen als Ersatz fur die
fehlende Einleitung zur
Sozialgeschichte
erschien 1958 die
Philosophie
der Kunstgeschichte.
Sie ermoglicht einen ersten genaueren Einblick in
Hausers Methodologie. Sein Wunsch, ein spezielles kunstgeschichtliches Problem
allseitig zu untersuchen, fuhrte 1964 zur Monographie
Der Manierismus. Die
Krise der Renaissance und der Ursprung der modernen Kunst. Die Soziologie der
Kunst
legte der Zweiundachtzigjahrige 1974 vor, "im Glauben, die erste
umfassende Erorterung des Gegenstandes unternommen zu haben." Nahere
Einsichten in den personlichen Lebensweg und die Gedankenwelt Hausers erlaubt
der 1978 veroffentlichte Band
Im Gesprach mit Georg Lukacs,
der von
Hauser noch redigiert wurde, aber postum erschien.
Dass sich
die Arbeiten Arnold Hausers in zwei Richtungen klassifizieren lassen, wird
bereits erkennbar. Die
Sozialgeschichte
und das
Manierismus
buch
sind starker kunsthistorisch angelegt und untersuchen die konkrete historische
"
Seinsgebundenheit
" von Kunst. Einen
ausgepragt theoretisch-methodologischen Charakter tragen dagegen die
Philosophie
der Kunstgeschichte,
in der er seine grundlegenden philosophischen und
kunsttheoretischen Positionen erlautert, sowie die
Soziologie der Kunst,
die
als selbstandige Theorie einer Kunstsoziologie systematische Kapitel mit
historischen Exkursen verknupft. Hier findet die von ihm praktizierte Methode
ihre letzte theoretische Zusammenfassung.
Auf
der Grundlage der wissenssoziologischen Konzeption Karl Mannheims verarbeitete
Hauser eine Vielzahl philosophischer und einzelwissenschaftlicher Einflusse. In
Anlage und Terminologie grundet sich seine kunstsoziologische Theorie auf die
Mannheimsche
Auffassung, dass die Soziologie erstens der
"Standortgebundenheit" und "Ideologiehaftigkeit" der
geistigen Gebilde nachzugehen hat, zweitens die vorhandenen
"Partikularsichten" berucksichtigen muss, drittens deren
"Zusammenschau" bzw. "Verklammerung" zu leisten hat, was
viertens die
"Entscheidung zur dynamischen Mitte"
voraussetzt
und somit eine politische Parteinahme ausschließt. Hauser verstand seine
Soziologie der (westeuropaischen) Kunst als integrierende "Zentralwissenschaft",
die - ausgehend von der Erkenntnis, dass die Menschen "ein wesentlich
gesellschaftliches Dasein fuhren" und "im Grunde mit der Losung von
identischen, miteinander eng verbundenen Aufgaben ringen"
(SdK,
S.
16 f.) - im Sinne der Wissenssoziologie zur allgemeinen Synthese selbst
diametraler Ansichten berufen ist. Ihr Ausgangspunkt liegt im totalen
Ideologiebegriff. Erfullt wird ebenfalls Mannheims Forderung, sich
entschiedener von der reinen Stilgeschichte loszusagen, um sich neben der Motiv-
und Themengeschichte der allgemeinen Ideengeschichte, politischen Geschichte
und Wirtschaftsgeschichte zuzuwenden.
Der Text von 1989 ist
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Hauser
ruckt dabei den von burgerlichen Kunstwissenschaften vernachlassigten
sozialgeschichtlichen Gesichtspunkt in das Zentrum seiner Theorie, wobei er
sich maßgeblich auf den dialektischen und historischen Materialismus beruft.
Gemaß der Wissenssoziologie verhindert nur ein "dynamischer
Relationismus
" ideologische und theoretische
Einseitigkeiten, diesen Anspruch teilt Hauser als "ungebundener
outsider
". (vgl.
PdK
,
S. X) Nicht nur die objektive Existenz entgegengesetzter
ideologischer Standpunkte zwingt ihn zu Relativierungen, sondern ebenso die
konkrete Komplexitat und Mehrdeutigkeit von Kunst sowie die sozialen
Widerspruche (des kapitalistischen Systems). In der Theorie dienen Hauser
vielfach dualistische Modelle zum Auffangen von Widerspruchen, gepaart mit
einem begrenzten Relativismus, der sich stilistisch in der bewusst gewahlten,
essayistischen Schreibweise und syntaktisch in dem haufigen Gebrauch von
Relativ- und Konzessivkonstruktionen niederschlagt. Das scheint ein
wesentliches Funktionsmoment fur die kontroverse Rezeption des Hauserschen
Werkes zu sein. Formlich als Motto seiner Arbeiten steht die Aussage,
"dass
sieh
von der Kunst kaum etwas behaupten
lasst, wovon nicht auch das Gegenteil behauptet werden konnte"
(
SdK
,
S. 574).
Die
vorliegenden Beurteilungen des Hauserschen Schaffens widersprechen sich in
auffalliger Weise. Hinter den unterschiedlichen Wertungen verbergen sich
unterschiedliche Auffassungen von einer Kunstsoziologie, nicht minder
reflektieren sie die Schwierigkeiten bei der Analyse des realen Kunstprozesses
als auch tatsachliche Widerspruche in Hausers Theorie. Jurgen Scharfschwerdt
begriff diese nur "schwer prazisierbare kunstsoziologische
Konzeption" als eine "letzte große Sinnsuche und Sinngebung der
burgerlichen Gesellschaft." Ekkehard May charakterisierte Hauser als den
"unbestreitbar popularsten Mentor interdisziplinarer Arbeit."
Verurteilte beispielsweise
Laszlo
Barlay
Hausers Schriften in scharfster Form als antimarxistisches Produkt und
vollkommene theoretische Fehlgeburt, wurden diese Arbeiten von anderen "zu
den fortschrittlichsten, dem Marxismus
am nachsten stehenden
Versionen
der burgerlichen Soziologie" gerechnet.
Hausers
Publikationen vermitteln zahllose Anregungen und uberraschende Einsichten zum
Problemfeld Kunst und finden international Verbreitung. Die
Sozialgeschichte
...
als seine zweifellos bekannteste Arbeit liegt gegenwartig in etwa 20 Sprachen
vor. In der BRD belief sich ihre Gesamtausgabe mit der neunten Auflage 1983 auf
62.000 Exemplare. Solche Auflagenziffern signalisieren zumindest den
potentiellen Einfluss Arnold Hausers. Zu berucksichtigen sind ferner seine
jahrelange Lehrtatigkeit und die Ubernahme von Gastprofessuren an den
Universitaten Leeds (Großbritannien), Brandeis und Ohio (USA) sowie am Londoner
Hornsey
College
of
Art.
Darauf anspielend meint Zoltan
Halasz
im positiven
Sinne, er habe eine eigene "Schule" begrundet.
Alphons Silbermann wiederum polemisiert nachdrucklich gegen unkritische
Adepten, "die sich soziologisch gebarend der ´Hauserschen Methode´
angeschlossen haben" und wertet
dessen Veroffentlichungen als ein
"grenzenloses Gemisch aus Sozialgeschichte, Philosophie, Psychologie,
Asthetik und marxistischer Ideologie". Ungeachtet solcher Einwande
spiegelt sich Hausers wissenschaftliche Bedeutung unter anderem in der
Tatsache, dass er uns bereits ein Jahr nach seinem Tode (!) - ubrigens in einem
von Silbermann herausgegebenen Sammelband (!) - als "Klassiker der
Kunstsoziologie" anempfohlen wird.
Ein
Anfang in der kritischen Auseinandersetzung mit Arnold Hausers Theorie ist in
unserem Lande gemacht. Daran anknupfend versucht der vorliegende Beitrag, trotz
gegenwartiger Schwierigkeiten bei der Diskussion sozialgeschichtlich
intendierter Forschungslinien, einen Einstieg in sein Kunstkonzept zu geben.
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Kunst und Gesellschaft
Wenn
Arnold Hauser in der Einleitung der
Philosophie der Kunstgeschichte
mit
Blick auf die Vertreter einer vollig autonomen Kunstbetrachtung anmerkt,
"dass die Bewahrung des Geistigen vor jeder Beruhrung mit dem
Materiellen... zumeist nur eine Form der Verteidigung von privilegierten
Stellungen ist"
(
PdK
,
S. 2), kann das als
Reaktion auf die an der
Sozialgeschichte
geaußerten Vorbehalte gelesen
werden. Hauser ist bestrebt, sowohl die Einseitigkeiten der
Diltheyschen
Geistesgeschichte als auch die kurzschlussige Direktheit mechanisch-
rnaterialistischer
Theorie zu uberwinden. So gelangt er zu
einer materialistischen Konzeption, die davon ausgeht, "dass jede
geschichtliche Entwicklung weitgehend von wirtschaftlich-gesellschaftlichen
Konstellationen abhangt und
...
dass die
Ideologie,
in der die wirtschaftliche Lage, der gesellschaftliche Standort, die
politische Macht und der geistige Einfluss einer Klasse, Gruppe oder sonstigen
Interessengemeinschaft zur Geltung kommen, den
Unterbau
und damit die
Direktive jeder Art von Kulturgebilden darstellt."
Kunst
fasst Hauser als ein vielschichtiges soziales Phanomen. Bei seiner Erklarung
des Verhaltnisses von Kunst und Gesellschaft werden drei Argumentationslinien
sichtbar, die sich bewusst aufeinander beziehen, fortsetzen und
Ganzheitlichkeit anstreben.
Das
erste
Modell ist noch starker mechanischen Vorstellungen verhaftet und
lasst Zweifel am ganzheitlichen Lebensprozess aufkommen, es will aber die
Komplexitat und relative Selbstandigkeit der Kunstentwicklung hervorheben. Die
Komplexitat des Kunstwerks widerspiegelt nach Hausers zentraler These,
"dass es im Kreuzungspunkt verschiedener Motivationsreihen liegt. Es ist
dreifach - psychologisch, soziologisch und stilgeschichtlich - bedingt."
(
PdK
,
S. 13) Bereits im
Handworterbuch der Soziologie
von 1931 erortert Walter
Ziegenfuss
die nach seiner
Meinung von Hippolyte Taine, Jean-Marie
Guyau
und
Wilhelm Hausenstein entworfenen "drei systematischen Leitlinien" der
Kunstsoziologie und deren akzentuierte Ausrichtung auf Milieu, Psychologie und
Stil. Fur Hauser sind zwar andere Bezugspersonen maßgebend, aber analoge
Leitlinien, deren Zusammenfugung er sich mit der These von der dreifachen
Bedingtheit von Kunst verpflichtet fuhlt.
Sein
soziologisches Interesse wurde im Budapester "Sonntagskreis" durch
Lukacs geweckt, durch Anregungen Max Webers, Werner
Sombarts
,
Georg Simmels und Ernst
Troeltschs
orientiert und
schließlich durch marxistische Gedanken beeinflusst. Zudem sammelte Hauser
mannigfaltige Kunsterfahrungen bei intensiven, praktischen und theoretischen
Kunststudien in mehreren Landern. Auch durch die langjahrige Tatigkeit im
osterreichischen und englischen Filmgeschaft erschloss sich ihm Kunst als ein
soziales Phanomen.
Psychologische
Fragen diskutiert Hauser vornehmlich in Auseinandersetzungen mit Sigmund Freuds
Theorie. Stilfragen werden im Dialog mit der so genannten Wiener Schule,
namentlich mit Bezug auf Max Dvorak und Alois
Riegl
geklart, unter kritischer Einbeziehung der formanalytischen Kunsttheorie
Heinrich Wolfflins.
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Die
soziologische Kunstanalyse zielt auf okonomische und ideologische Momente und
ubergeht nach Hausers Ansicht die psychologischen Motive des Kunstschaffens.
Kunst sei aber weder nur "soziologischen Dokument" noch bloßer
"psychologischer Befund", denn die asthetische Eigenart von Kunst
entspringe der "spharenimmanenten, asthetischen Sinnschicht", der
immanenten Formstruktur. Naturlich kritisiert Hauser damit die enge
Begrenztheit der verschiedenen wissenschaftlichen Zugange zur Kunst. Dass er
von der Eigengesetzlichkeit gleichberechtigter und unabhangiger Motivationsreihen
(Faden/Wirkungsketten) nicht abgeht und allen gesellschaftlichen Erscheinungen
einen "eigenen, koharenten und konsistenten Sinn - eine Rationalitat"
und "eigene
Seinsgrunde
" zubilligt (
SdK
,
S. 73 f. und 84), konnte den verkundeten sozialgeschichtlichen Ansatz in Frage
stellen. Im Ruckgriff auf den Neukantianismus interpretiert Hauser den
dialektischen Determinismus als einen "funktionalen Zusammenhang",
der sich auf volliger Wechselwirkung, unauflosbarer Interdependenz bzw.
stetiger Korrespondenz konstituiert. Jedes geschichtliche Ereignis, jedes
Kunstwerk habe unendlich viele Determinanten, nur darum sei die Frage nach
einem "Kausalnexus" sinnlos.
Vielleicht
ist Kritik angebracht, denn Hauser vernachlassigt die Arbeit als den grundlegenden
Stoffwechselprozess
zwischen Mensch
und Natur unter
formationstypischen Besitz- und Aneignungsverhaltnissen, der in letzter Instanz
das gesamte gesellschaftliche Leben bestimmt. Viel gewichtiger und anregender
aber ist die in seinen Werken vorgefuhrte Sichterweiterung auf die tatsachliche
Vielfalt der Zusammenhange von Kunst, die sich berechtigt gegen lineare
Kausalitat wendet und dem dialektischen Beziehungsgeflecht des gesamten
Kunstprozesses nachspuren will.
Nach Mannheim kann die "Verklammerungsproblematik von jedem beliebigen
Punkte, von jeder beliebigen Disziplin her aufgerollt werden." Hauser
besteht auf einen sozialgeschichtlichen Ansatz und betont, dass wir bei der
Analyse der Zusammenhange nicht von den wirtschaftlichen Verhaltnissen absehen
konnen. Dabei wird ein mechanischer Standpunkt kritisiert, welcher "in der
Kunst eine unmittelbare Widerspiegelung der wirtschaftlichen und sozialen
Verhaltnisse" erblickt
(
PdK
,
S. 297),
ebenso das fragwurdige Unterfangen, Kunst auf sexuelle Symbolik oder eine bloße
Formgeschichte zu reduzieren. Geschichte, Kunstgeschichte und individuelles
kunstlerisches Schaffen erklart Hauser, wie das Verhaltnis von Kunst und
Gesellschaft, gleichlautend: Alle gesellschaftlichen Erscheinungen bilden
demnach eigenstandige Kausalreihen und "befinden sich in einer
ununterbrochenen, nach der Art einer Kettenreaktion sich fortpflanzenden,
gegenseitigem Abhangigkeit (
SdK
, S. 98). In diesem Sinne bestehen Kunst
und Gesellschaft "als zwei disparate, wenn auch nicht isolierte Realitaten
nebeneinander" (
SdK
,
S.
100), deren Zusammenhang am
pragnantesten bei Stilumbruchen zum Vorschein kommt.
Der
Stilwandel bildet fur Hauser das Hauptproblem der Kunstgeschichte, gerade hier
sieht er die Aufgaben und Moglichkeiten der Soziologie, um das Verhaltnis von
außer- und innerkunstlerischer Entwicklung zu erhellen. Zasuren in der
Kunstgeschichte sind, wie Hauser insbesondere in der
Sozialgeschichte
uberzeugend darstellt, primar das Resultat veranderter sozialer Bedingungen.
Eine mitunter von ihm behauptete Dualitat von Kunst und Gesellschaft wird in
seinen konkreten sozialgeschichtlichen Untersuchungen zugunsten einer
ganzheitlichen Betrachtungsweise aufgehoben.
Das
zweite
Argumentationsmodell untersucht die Ideologiefunktionen von Kunst. Im
Gegensatz zu verkurzenden gnoseologischen als auch formalistischen
Kunsttheorien erkundet Hauser die aktive und vielgestaltige Rolle der Kunst in
der Gesellschaft. Angesprochen wird ein breitflachiges Funktionsspektrum.
Kunst(werke) betrachtet Hauser - in den verschiedensten Zusammenhangen - als
geistige Botschaft, Deutung des angeblichen Chaos des Lebens, parteiliche Waffe
im Daseinskampf, Anregung zur Aktion und Opposition, geistige
Lebensbewaltigung, Entschadigung versaumten Lebens, Abbild, Sinnbild, Vorbild,
als Trosterin und Traumbild, Gesellschaftskritik und
Beschwichtigungsinstrument, Ausdruck und selbstgenugsame Form,
Wirklichkeitsbewaltigung und Wirklichkeitsersatz, ideologietragend und
ideologiebildend, als "eine Widerspiegelung der Wirklichkeit" (
SdK
,
S. 339).
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Alle
Funktionen konzentrieren sich fur Hauser schließlich in der Sinnfrage:
"Die Idee der Katharsis, um die sich die Tragodie dreht, ist im Sinne der
Mahnung ´Du musst dein Leben andern' der Drehpunkt aller wirklich maßgebenden
kunstlerischen Wirkung." (
SdK
, S. 348) Rilkes Motiv bekraftigend,
bleibt, auch unter dem Einfluss Kantscher Ethik aus der Zeit des
"Sonntagskreises", der individuelle und gesellschaftliche
Sinnanspruch als weltanschauliches und praktisches Problem einer
klassengeteilten Gesellschaft und entfremdeter Individuen allerdings offen.
Das
Ideologieproblem begreift Hauser als ein Grundprinzip von Kunst. Unter
funktionalem und substantiellem Gesichtspunkt wird die Rolle von Ideologie zum
einen in der kunstlerischen Produktion, Distribution und Rezeption, zum anderen
als gestalteter Gehalt untersucht. Fur ihn ist jede Kunst aufgrund des sozialen
Standorts des Kunstlers Ideologie und parteiisch angelegt. Wenn mit Hauser aber
jede Ideologie "falsche Bewusstsein" und "wesentlich
Selbsttauschung" (
SdK
, S. 240) sein soll, erhebt sich die Frage
nach dem Wahrheitsgehalt von Kunst. Wahrheit in gesellschaftlichen Belangen
bindet er in Nachfolge lebensphilosophischer und neukantianischer Impulse an
subjektive Deutung, an Interpretation. Er gibt vor, sich dabei auf Kant und auf
Marx beziehen zu konnen. Spatestens bei ihnen habe sich das Interesse vorn
Objekt zum Subjekt verlagert, und Erkenntnis fungiere nicht mehr als getreues
Abbild, sondern als standortgebundene Ein- und Entstellung. Die Partikularitat
und Relativitat des Denkens, die individuelle Sicht bedarf in der Kunst keiner
besonderen Rechtfertigung, und so vollendet Hauser: "ihre perspektivische
Sicht ... bedarf keiner Korrektur ... Sie ist wahr, nicht trotz, sondern dank
ihrer ideologischen Wesensart, ihrer unlosbaren Verwicklung in die
Praxis."
(SdK,
S. 243) Nachfolgend kennzeichnet Hauser den
"Wunsch nach Ideologiefreiheit" als illusionaren Wunsch nach einer
"geschichtsjenseitigen, ubernaturlichen, ungefahrdeten Welt der absoluten
und ewigen Werte" und relativiert zugleich die These vom generellen
"falschen" Bewusstsein deutlich. Ideologisches Bewusstsein enthalte
immer "positive Elemente" und sei nicht lediglich "Irrtum,
Verhullung und Tauschung". (
SdK
, S. 261)
Im
dritten
Modell wird diese Korrektur - allerdings erst in der
Soziologie
der
Kunst -
durch die These von der "intensiven Totalitat der
Kunst" in Anlehnung an Rickert und Lukacs gestutzt. Die "mikrokosmische
Exklusivitat", die "gesattigte Sinnlichkeit und keiner Erganzung
bedurftige Vollstandigkeit" der Kunst widerspiegele die Lebenstotalitat
"am vollkommensten, lebendigsten und eindringlichsten". (
SdK
,
S. 85, 4) Das kunstlerisch-asthetische Erlebnis wird somit zur verlasslichsten,
weil totalen Erkenntnisform erhoben. Dem Subjektivismus des individuellen
Kunsterlebens weiß Hauser durch die Objektivitat der Kunstwerke Grenzen
gesetzt. Zwar betrachtet Hauser - gemaß seiner These vom "Doppelwesen"
des Menschen - den Rezipienten hier nur als ein "psychologisches
Subjekt", klammert beim "Totalitatserlebnis des ganzen Menschen vom
Ganzen des Lebens" (
SdK
, S. 4) dessen soziales Wesen keineswegs
aus. Den von Hauser benannten Gegensatz zwischen angeblich rein objektivem
kunstlerischem Wert und rein subjektiver Wertung behebt seine
Totalitatskategorie, die Sein und Bewusstsein, Subjekt und Objekt, Theorie und
Praxis verschmilzt. Der anfangs unterstellte Subjekt-Objekt-Dualismus
verschwindet und wird als eine dialektische Subjekt-Objekt-Beziehung
verstanden, auf deren Grundlage der Wahrheitsanspruch von Kunst als Anspruch
auf (individuelle) Relevanz definiert wird.
(SdK,
S. 86)
Hausers
Erorterung der Relevanz und Sinnfrage von Kunst beruhrt sich meines Erachtens
mit neueren theoretischen Konzeptionen von John Erpenbeck (Widerspiegelung von
Wertungen/Wertungsadaquatheit) und Michael Franz (Sinnbezug von Kunst). Ein
wesentlicher Unterschied liegt im veranschlagten Handlungskriterium. Erpenbeck
misst die die "Verhaltensadaquatheit" ermoglichende
"Wertungsadaquatheit" an der "historisch mogliche[n]
Ubereinstimmung mit den - erkannten oder unerkannten! - objektiven Gesetzen von
Natur und Gesellschaft." Fur Franz ist individuelles Handeln bereits
"in dem Maße sinnvoll, wie es, gemessen an geschichtlich eingebundenen,
sozial relevanten Problemen des Lebens, Losungen sucht, die die humanen
Lebensmoglichkeiten sichern helfen und erweitern." Unhaltbar ware die
Annahme, Franz genuge ein kurzlebiger Pragmatismus. Bei Hauser hingegen sind
fatalistische Zuge zu beobachten, wenn es beispielsweise heißt, die
"moralisch harte Probe" bei der Kunstaneignung verlange die
"Hinnahme der Note des Lebens und Versohnung mit ihnen."
(SdK,
S.
594)
Ahnlich
Adornos Reduktion von Kunst auf das "Gedachtnis akkumulierten
Leidens" entspringt fur Hauser Kunst dem "Jammer und Elend, und
statt das Leid
und die Not der Menschen zu verringern,
steigert sie ihre Leidensfahigkeit"
(SdK,
S. 715). Eine gewisse
Resignation ist Hausers objektivistischem Geschichtsverstandnis verschuldet.
Angesichts der europaischen Nachkriegsentwicklung nach 1945 verstarkte sich
seine Rat- und Ausweglosigkeit, was sicherlich dazu fuhrte, dass sein
Objektivismus und sein zutiefst humanistisches Ideal zunehmend kollidierten.
Darum konnte er kein verbindliches Kriterium fur die von der Kunst
eingeforderte Handlungsfahigkeit benennen. Das verhinderte einerseits eine
normative Kunsttheorie und umging andererseits in der Theorie die Klassenfrage.
In den historischen Untersuchungen beleuchtet Hauser auch politokonomische
Klassenverhaltnisse.
Kunst
ist fur Hauser nicht nur gesellschaftlich bedingt, sondern selbst Teil des
Gesellschaftsprozesses. Dennoch wurde seine These, der "asthetische Wert
hat weder ein soziologisches noch ein psychologisches Aquivalent"
(SdK,
S. 57) oft missdeutet. Sie zielt in erster Linie gegen die Annahme einer
direkten Vermittlung zwischen politischem Standpunkt und kunstlerischer
Qualitat. Sie besagt des Weiteren, "die kunstlerische Wirkung hat eine
asthetische Schwelle, ein formales Mindestmaß". (
SdK
, S. 341) Und
nicht zuletzt hebt Hauser auf diese Weise die an das Formgebilde gebundene
Eigenart des Asthetischen in der Kunst heraus.
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Zum Kunstbegriff
(1)
An den Ausgangspunkt setzt Hauser, der autonomieasthetischen Orientierung
deutscher Klassik folgend, das einzelne
Kunstwerk
als ein optisch bzw.
akustisch organisiertes Formgebilde. Der Totalitatscharakter jeder
"authentischen Gestalt", die "Einheit und Ganzheit" der
kunstlerischen Schopfungen liefern ihm ein entscheidendes Kriterium fur Kunst
(SdK,
S. 389, 454), die er als eine sowohl "autonome wie auch engagierte
Stellungnahme zur Welt und Wirklichkeit" (
SdK
, S. 495) erforscht.
Gemaß
der Logik des sozialgeschichtlichen Herangehens erfahrt der Kunst
werk
begriff,
weil die wirklich reale Kunstentwicklung reflektiert werden soll, bei Hauser
eine deutliche Problematisierung. Die notwendige Erweiterung jenes
Kunstbegriffs - historisch-funktional, formal und inhaltlich begrundet erfolgt
in mehrfacher Hinsicht. Hauser schiebt die Grenzen kunstgeschichtlicher
Disziplinen nach außen. Mit sicherem Gespur und sensiblem Realitatssinn
reagiert er somit auf die tatsachliche Kunstentwicklung.
(2)
Das "Kunstwerk an sich, das kunstlerische Produkt als selbstgenugsames, in
sich geschlossenes, formgerechtes Gebilde stellt in Wirklichkeit eine
Unterbrechung des lebendigen asthetischen Prozesses dar", bemerkt Hauser.
(
SdK
, S. 3) Da fur ihn Kunst auch wesentlich als "Kommunikation und
Information" funktioniert (
SdK
, S. 459), wird folglich der
Zusammenhang von Kunstproduktion, -werk und -rezeption als
Kunstprozess
wichtig.
Von der Verabsolutierung des kunstlerischen Schaffensprozesses als auch von
rezeptions- bzw. wirkungsasthetischen Richtungen rein empirischer
Kunstsoziologie (etwa Silbermanns) distanziert sich Hauser direkt und
bezweifelt den Wert statistischer Auskunfte (vgl.
SdK,
S. 470, 639 f.).
Die maßgebende Aufgabe einer Kunstsoziologie besteht, so Hauser, in der
"soziologischen Analyse und Definition vollwertiger kunstlerischer
Bestrebungen und Leistungen" (
SdK
S. 622).
(3)
Den Begriff der Kunstverhaltnisse
gebraucht Hauser nicht explizit,
wenngleich sie im Zentrum seiner Forschungen stehen. Faktenreiche
Untersuchungen zu den
Mittlern
, Institutionen der
Vermittlung, Kunsthandel, Kunstkritik, zur sich wandelnden Stellung des
Kunstlers und der Kunstwerke im Verlaufe der Geschichte belegen, dass das
jeweilige Kunstwerk unter konkreten Kunstverhaltnissen produziert und
angeeignet wird und mit den gesellschaftlichen Verhaltnissen seinen aktuellen
Wert und Sinn verandert. Diese Aufgabe stellt und bewaltigt Hauser in der
Sozialgeschichte
in uberzeugender Weise, wobei er das konkrete Kunstwerk nicht aus den Augen
verliert. Er ist sich der verschiedenen semantischen Ebenen des Kunstbegriffs
(Kunstwerk einzeln und allgemein, Kunstgenre, Kunstgattung, Kunstensemble,
Kunstprozess, Kunstverhaltnisse) durchaus bewusst.
(4)
Von grundsatzlicher Bedeutung, weil die horizontale stilgeschichtliche durch
die vertikale Sicht nach "Querschnitten" erganzend, ist Hausers
Entwurf einer
"Kunstgeschichte nach Bildungsschichten"
(
SdK
,
S. 581 ff.). Dabei geht er davon aus, dass der Bildung als sozialem
Integrationsfaktor im Bereich der Kunst großere Bedeutung zukommt als der
Klassenzugehorigkeit it. Etwa ab dem 18. Jahrhundert unterscheidet Hauser
zwischen drei Bildungsschichten und den ihnen adaquaten Kunstformen zwischen
hauptsachlich bauerlicher Volkskunst (wie Volkslied, Dekoration und
Andachtsgegenstand), volkstumlicher Kunst (wie Bilderbogen, Volksbuch und
Schlager), die sich im 20. Jahrhundert mittels der modernen Massenmedien der
Unterhaltungsindustrie als Massenkunst (Bestseller, Film, Rundfunk, Fernsehen)
etabliert, und der hohen authentischen Kunst der Bildungselite. Dieses
Differenzierungsprinzip, das sich auf Kunstschaffende und Publikum bezieht,
ware nach Hauser flexibel auf die gesamte Kunstgeschichte auszudehnen.
Hauser
hat mit der Kunstgeschichte nach Querschnitten bereits in den funfziger Jahren
die gegenwartig stark diskutierte Frage nach der kunstlerischen Produktion und
dem Gebrauch von Kunst im Alltag angesprochen. Es sind verdienstvolle
Bemuhungen um eine sozial differenzierte Kunstgeschichtsbetrachtung, die eine
partielle Kritik und ein Aufbrechen des gelaufigen Gegensatzpaares
"hohe" und "niedrige" Kunst enthalten!
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An
zwei Punkten wird Hausers Konzeption einer Kunstgeschichte nach
Bildungsgeschichten problematisch, er selbst benennt sie. Zum einen verweist er
auf Widerspruche zwischen Klassenzugehorigkeit und Bildungsniveau, zum anderen
ist ihm bewusst, dass das Publikum - insbesondere beim Jazz, Kinofilm,
Rundfunk, Fernsehen und der Pop-Art - sozial und bildungsmaßig recht heterogen
ist, "Mischformen" darstellt und sich gerade in der Gegenwart
Tendenzen der Annaherung und weiteren Differenzierung des Publikums kreuzen.
Das schmalert die durch Hauser in Angriff genommene betrachtliche
Gegenstandserweiterung der traditionellen Kunstgeschichtsschreibung nur
geringfugig. Eine mogliche Erganzung dieser Sicht liefert Lenins These von den
zwei Klassenlinien innerhalb der burgerlichen Nationalkultur. Erklarungsmodelle
der
Gegenwart hingegen betonen die lebendige Komplexitat pluralistischer
Kunstverhaltnisse als Bedingung (tendenzieller) kultureller Selbstbestimmung.
(5)
Im sechsten Teil der
Soziologie der Kunst,
betitelt "Das Ende der
Kunst?", polemisiert Hauser ausfuhrlich gegen seit Hegel immer wieder
geaußerte Befurchtungen vom Ende bzw. Untergang der Kunst, dennoch bewege sich
die burgerliche Kunst des 20. Jahrhunderts im Zeichen einer Krise. Deren
Voraussetzungen sieht Hauser in der Entwicklung des Kapitalismus, welche zum
ersten Weltkrieg fuhrte und sich in der Kunst der
Moderne und Avantgarde
(von ihm oft gleichgesetzt) artikuliert. Als Kennzeichen der Moderne (ab
Baudelaire) nennt Hauser einen "grundsatzlichen Nonkonformismus und
Antitraditionalismus"; das markante Kriterium der Avantgarde verberge sich
in der Forderung, "dass die Schranken zwischen Leben und Kunst
niedergebrochen werden" (
SdK
, S. 719, 725). Futurismus, Dada,
Expressionismus, Kubismus und Surrealismus tragen nach Hauser als erste Etappe
der Avantgarde einen stark antiimpressionistischen und antinaturalistischen
Charakter, begehren unter dem Vorzeichen eines Antiasthetizismus auf,
verabschieden jegliche Wirklichkeitsillusion und befolgen in der Regel
Montageprinzipien (des Films). Gegen Lukacs und mit Ernst Bloch verteidigt
Hauser die avantgardistischen Stromungen gegen den Vorwurf des Formalismus und
der Dekadenz (vgl.
SdK,
744, 736), zumal er den avantgardistischen Angriff
auf die Kunst als einen auch politisch motivierten begreift: "Der
Expressionismus, Dadaismus und zum Teil auch der Surrealismus tragen einen
politisch progressiven, wesentlich sozialistischen Charakter" und die
Kunstler fuhlten sich "mit dem Proletariat zumeist solidarisch". (
SdK
,
S. 624) Nur fehlen hier nahere Erlauterungen. Es fallt aber auf, dass er den
Teil der Avantgarde ausspart, der zur praktischen Gestaltung der
gegenstandlichen und raumlichen Lebensbedingungen ubergeht. Ein einziges Mal
nimmt Hauser darauf Bezug: "Der Kampf gegen die Geschmacksverwirrung der
so genannten hoheren Bildungsschichten begann fast uberall mit der Entwicklung
des Sinnes fur den Funktionalismus, die Sachlichkeit, Zweckmaßigkeit und
Materialechtheit der Produkte, mit einer Arbeitsdisziplin und einem
Arbeitsethos, die am
zugestandnislosesten
im Weimarer
Bauhaus regierten."
(SdK,
S. 731). Mit Gide, Proust, Musil, Joyce,
Kafka, Sartre und Camus bevorzugt er eine Traditionslinie, deren kunstlerische
Leistung und individuelle Sinnsuche außer Frage steht und die im Anschluss an
Peter Burger am treffendsten als "hermetische Moderne" bezeichnet
ist. Die Totalitat von Kunst bleibt hier in den "verzerrten, illusionar
oder visionar verwandelten Zugen der Wirklichkeitswiderspiegelung"
erhalten, denn "sinnliche Erfahrung gilt mit Recht als der Wirklichkeit
im großen und ganzen
aquivalent", fasst Hauser
zusammen. (
SdK
, S. 738)
(6)
Die weitere Zuspitzung der burgerlichen Kunstkrise hangt nach Arnold Hauser
"mit der entpersonlichenden, mechanisch konzipierten
´technischen
Reproduzierbarkeit´
der Werke im Sinne Walter Benjamins zusammen", vor
allem mit der wachsenden Rolle der elektronischen Medien seit den dreißiger
Jahren, doch sei eine Mystifizierung der "Aura" des originalen,
einmaligen und unersetzlichen Kunstwerkes unangemessen. (
SdK
, S. 700 f.)
Begrundet wird letzteres mit der wesentlich fruher einsetzenden Moglichkeit der
technischen Reproduktion
mittels Buchdruck
,
Holzschnitt, Kupferstich, Lithographie usw.; zum anderen damit, dass die
Verkauflichkeit, der Warencharakter fur die gesamte neuere Kunstproduktion
bezeichnend ist. Die technischen Bedingungen kunstlerischer Produktion und
Reproduktion werden von Hauser souveran verteidigt, gegenlaufige Theorien - fur
ihn etwa McLuhans Interpretation der Massenkultur - deutet er als konservative
und elitare Kulturkritik. (vgl.
SdK,
S. 651 ff.)
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Wie
Bela Balazs und Walter Benjamin erblickt er im Film einen Sieg der visuellen
Sinnlichkeit und akzeptiert ihn als neue Kunstgattung. Hauser erinnert dabei an
einen interessanten historischen Vorgang. Ist bei den ersten Filmschopfungen
Chaplins, Eisensteins,
Pudowkins
und Rene Claires
allgemein eine Einheit von kunstlerischer Qualitat und Popularitat zu
registrieren, so treibt die nachfolgende Entwicklung auseinander und es entstehen
der Film als Massenmedium und der literarische Film. Auch bei den bedeutenden
avantgardistischen Regisseuren Visconti, Rossellini, Fellini, Cocteau, Bresson,
Godard und Bergmann gabe es allerdings keinen absoluten Publikumsriss, was
Hauser den universellen Rezeptionsbedingungen dieser relativ jungen Kunst
zuschreibt. (vgl. unter anderem
SdK,
S. 661 ff.)
(7)
Tradierte Kunstvorstellungen werden im 20. Jahrhundert auch durch die
Verbreitung der
Massenkunst
erschuttert. Als Ausdruck industrieller Produktion
und Reproduktion von Kunst zahlt Hauser zu ihren wesentlichen Merkmalen die
Standardisierung der Muster, die Kurzlebigkeit der Produkte, die Heterogenitat
des Publikums und die Unterhaltung fur ein Massenpublikum. Abfallige
Bemerkungen Hausers zu jener "
Allerweltskunst
"
und eine unterschwellige Gleichsetzung von Vergesellschaftung und Vermassung
relativiert er wieder. So werden an der Massenkunst Tendenzen zur
Demokratisierung der Kultur, positive Elemente von Unterhaltung, die Potenz zur
anspruchsvollen kunstlerischen Bildung und der mogliche Wirklichkeitsgehalt
hervorgehoben, was eine platte und pauschale Verurteilung der Massenkunst
einfach ausschließt.
Dennoch
verfangt sich Hauser in dem Widerspruch zwischen traditioneller (elitarer)
Kunstauffassung und weitem Kunstbegriff, als Realist akzeptiert er die
Massenkunst, als Kunstkenner erscheint sie ihm letztlich minderwertig. Immerhin
gesteht er ihr das Pradikat "Kunst" zu, in dem Wissen, dass sie die
reprasentative Kunst unseres Jahrhunderts verkorpert, wenigstens quantitativ.
Hauser neigt jedoch zur Auffassung, dass es "nur
eine
Kunst
gibt", namlich die hohe Kunst, "die ein an und fur sich evidentes
Bild der Wirklichkeit gibt, eine ernste Auseinandersetzung mit den Problemen
des Lebens und den bestandigen Kampf um den Sinn eines verantwortungsvollen
Daseins zum Gegenstand hat" (
SdK
, S. 588).
(8)
Die Entwicklung der Moderne nach dem zweiten Weltkrieg betrachtet Hauser als
die eigentlich kritische Prasse der burgerlichen Gegenwartskunst. In der
Soziologie
der Kunst
benennt er als Ursachen der neuerlichen Verscharfung der
Kunstkrise den Krieg und seine Folgen, insbesondere den Zusammenbruch des
liberalen Humanismus nach Auschwitz und die daraus resultierende Aktualitat des
philosophischen und kunstlerischen Existentialismus. "Wir zahlen bereits
den hohen Preis der Kultur, haben uns aber der idealen Gesellschaft von Marx
nicht betrachtlich genahert", resumiert Hauser resignierend. (
SdK
,
S. 717)
Krisensymptomen
wie der "vollkommen negativen
Absurditat", dem
Nouveauroman
als
"Anti-Roman", dem "Anti-Helden" und damit einhergehenden
"
Enthumanisierungs"tendenzen
begegnet
Hauser mit unverhohlenem Bedenken. Andererseits heißt es, das neue
"negativ Kunstlerische ... bewegt sich noch ... in mehr oder weniger unverkennbar
asthetischen Kategorien, obgleich es sich nicht in den Formen von mikrokosmisch
organisierten
, autonomen und immanenten Einheiten
reprasentiert, die Werke im herkommlichen asthetischen Sinne genannt werden
konnen" (
SdK
, S. 760).
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Sein
Abstoßen von Lukacs' Dekadenzvorwurfen an die Adresse der Moderne ist begleitet
von einer ziemlich klaren Absage an Adornos Theorem der negativen Kunst.
Deutlich wird das am Beispiel Samuel Beckett, dessen Bilderwelt Adorno als
realistischen "Abdruck, Negativ der verwalteten Welt" nimmt. Hauser
wurdigt die provokanten Diagnosen in Becketts Kunstschaffen, vermisst aber die
Suche nach einem Lebenssinn, distanziert sich vom "Verlust der Hoffnung",
dem "Verzicht auf alles Handeln" und empfindet die
Unartikuliertheit
der stammelnden Sprache als kunstlerisch
hochst fragwurdig. (
SdK
, S. 787 ff.) Als ein (zwar nicht vorbildlicher)
Kunstreflex auf die entfremdete Welt verdiene Becketts Werk aber Toleranz,
"wenn man das Dogma von der unantastbaren Einheit des Kunstwerkes
aufzugeben bereit ist"
(SdK, S.
798).
Damit
erganzt Hauser das Modell vom "geschlossenen" Kunstwerk durch die
Anerkennung des "
offenen
" Kunstwerkes. Zugleich wird aus
seiner Perspektive klar, dass ein Kunstbegriff, der formal und inhaltlich auf
Totalitat und Vernunftglauben zielt, angesichts der realen gesellschaftlichen
Entwicklung in den funfziger und sechziger Jahren versagt, weil sich die
Sinnsuche in der burgerlieben Welt und Kunst immer problematischer gestaltet.
So begnugt sich Hauser mit der Forderung nach einem "illusionslosen
Objektivismus" oder fuhlt sich zur Bemerkung veranlasst, dass das sinnlose
Dasein eine sinnlose Kunst bedinge.
(SdK,
S. 755 und 761) Er entzieht
sich weiterer Anstrengungen, Kunst auf den Begriff zu bringen. Kunst sei
undefinierbar, denn das Diktum
"Kunst ist, was als Kunst gilt"
beherrsche Kunstpraxis und -theorie. (
SdK
, S. 746, S. 700) Trotz seines
betonten Objektivismus und seiner postulierten Chronistenrolle stellt Hauser
mit dem Moment der Krise den Widerspruch zwischen humanem Anspruch und realer
burgerlicher Wirklichkeit heraus.
Nur
sucht und bietet er keine alternativen Gesellschafts- oder Kulturmodelle wie
die Frankfurter Schule oder die Neuen Linken. Ihm geht es um die Diagnose,
nicht aber um die "Therapie des irritierten Verhaltnisses zwischen
Kunstler und Gesellschaft", wie beispielsweise Hans Peter Thurn eine der
Aufgaben der Kunstsoziologie formuliert hat.
Gelenkt
von wissenssoziologischer Ideologiekritik und Ganzheitsanspruch bewaltigte
Hauser die sozialen Widerspruche seiner Zeit von unparteiischer Position aus,
er ging einen "Mittelweg". Sein Wissenschaftsgegenstand, die
burgerliche Kunst, fuhrte ihn zwar stets auf den Boden der burgerlichen
Gesellschaft zuruck, doch wollte er sich nicht unwiderruflich an diese binden.
Der Ausgang der burgerlichen (Kunst-)Krise war fur ihn ungewiss und offen.
Widerspruchslosung im Selbstlauf, partielle Reformierung des Kapitalismus,
sozialistische Revolutionierung, kriegerischer Untergang - alles liege in einer
systemgeteilten Welt im Bereich des Moglichen. Vage Hoffnungen verband Hauser
mit Tendenzen neuzeitlicher Philosophie aufklarerischen Charakters: "In
der Philosophie der Gegenwart gelangte, die dunklen Schatten des
Existentialismus erhellend, ein kritischer Rationalismus, ein dialektischer
Historismus und ein sozial gesinnter trotz aller Hoffnungslosigkeit hoffender
Humanismus zur Herrschaft..." (SdK
,
S. 790).
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Die Paradoxie der Kunst
Die
offenkundigen Schwierigkeiten beim angemessenen Beschreiben der Kunstspezifik
erbrachten und erbringen die verschiedensten Losungsversuche. Lukacs definierte
die asthetische Eigenart der Kunst durch einen Spielraum, der als
organisierende Mitte ein nie genau bestimmbarer Punkt sei und stellt die
asthetische Widerspiegelung als eine wesentlich pluralistische vor. Adorno
kennzeichnet das Lebenselement des Asthetischen in der Kunst mit dem Terminus
"Paradoxie". Bei Hauser begegnen wir diesem Begriff in zweifacher
Bestimmung: Anfangs steht der Begriff der "Paradoxie" im Zentrum
seiner
Manierismusdefinition
und bedeutet
"Vereinigung unversohnlicher Gegensatze", "unvermeidliche
Zweideutigkeit und den ewigen Zwiespalt" des kunstlerischen Bildes. In der
Soziologie der Kunst
schließlich konzentrieren sich dann die zusammengefassten
Außerungen uber die "Dialektik des Asthetischen" im Begriff der
Paradoxie. Der Begriff verliert hier seinen
Manierismusbezug
und wird zur Beschreibung des gesamten Kunstprozesses herangezogen. Er bewahrt
sich bei Hauser als durchgangig gehandhabtes Erklarungsmuster, welches im
"Paradoxen,
der Verbindung von Unvereinbarem, eine Grundform der Kunst"
entdeckt.
(
SdK
, S. 421)
Wenngleich die
Kunst von Hauser verbal zum "Paradigma dialektischer Gebilde" erhoben
wird, so stellt er haufig - wie auch in der
Paradoxiedefinition
- dialektische Gegensatze im Grunde als dualistische Pole hin, und dies
"nicht nur, was die geschichtlich aufeinanderfolgenden und strukturell
einander entsprechenden oder erganzenden Schritte ihrer Entfaltung, sondern
auch was, den Zusammenhang des Systems betrifft, das in jeder ihrer einzelnen
Formen und Phasen auf dem
Antagonismus zweier grundlegender Prinzipien
beruht."
Gehen wir diesen beiden Aspekten nach.
Der
erste
bezieht sich auf den Zusammenhang. Das
Paradoxiemodell
beinhaltet dabei unter anderem die Wechselseitigkeit von Faktischem und
Phantastischem, Kunstproduktion und -bedurfnis, Werk und Kunstlerbiographie,
Mimesis und Wunschbild, Gefuhlsdistanz und emotionaler Bindung, Bewusstem und
Unbewusstem, Geschichtlichkeit und Zeitlosigkeit des Kunstwerks. Hauser betont
unter diesem Blickwinkel wiederum weniger deren Einheit, sondern vielmehr deren
Widerspruchlichkeit, die "gegenseitig konstitutive Funktion" der
beteiligten Momente und die "Spannung zwischen kontradiktorischen Interessen".
(SdK,
S. 356, 363) Es geht ihm vor allem um einen Spielraum fur die
Theorie, der die differenzierte Akzentuierung von Momenten innerhalb. sich
wandelnder Zusammenhange erlaubt. Goethes "Symbolische", Hegels
"Besondere" und Lukacs' "Typische" enthielten "alle
Kompromissformen des Identitatsgedankens, mit welchem man die
unausgleichbare
Dualitat der Inhalt-Form-Beziehung aus der
Welt zu schaffen und den Mythos von der Einheitlichkeit und Unteilbarkeit des
kunstlerischen Schaffens retten zu konnen hofft... Fur die eigenartige
Gegenseitigkeit von Form und Inhalt, die Paradoxie ihrer Untrennbarkeit und
gleichzeitiger Unidentifizierbarkeit, den Primat des erlebnishaft materiellen
und die Unentbehrlichkeit des formalen Elements ist der dialektische Prozess
die grundlegende Formel...
" (SdK,
S. 341 ff.). Fur den Dualismus im
zitierten Beispiel durfte Hausers Befurchtung ausschlaggebend sein, dass auf
der Basis des Determinismus nur der gesellschaftliche "Inhalt"
untersucht wird, zufallige, psychologische, formale, strukturelle und
technische Momente aber - wie streckenweise in vergangener marxistischer
Theorie und Geschichte der Kunst - vernachlassigt werden. Wiederholt spricht er
auch von einem Dualismus von Objekt und Subjekt, Leib und Seele.
Mit
der
zweiten
Bestimmung von Paradoxie soll die Spielbreite von
Entwicklungen und die Moglichkeit der Wahl, etwa bei den geschichtlichen
Stilverlaufen der Kunst, unterstrichen werden. Hauser glaubt namlich, dass die
Dialektik das Prinzip der Entwicklung auf Alternativentscheidungen beschrankt
und damit ungehorig simplifiziert. (vgl.
SdK,
S. 447) So behauptet er,
die Dialektik erschopfe sich im Dualismus und konne spatestens mit dem
gleichzeitigen Auftreten von Spatrenaissance, Manierismus und Barock nicht
mehrgerecht werden. Die fortschreitende (Stil-)geschichtliche Entwicklung
bewillige der "freien Wahl mit drei Moglichkeiten, das heißt dem
tertium
datur
als
Chance immer mehr Raum." Der von Hauser selbst
installierte Dualismus findet hierin sein dringliches Vermittlungsglied.
In
dem am Lebensende geschriebenen Essay Variationen
uber das "tertium
datur"' bei Georg Lukacs
glaubt Hauser unausgesprochen das fur ihn
richtungweisende wissenssoziologische Modell der "dynamischen Mitte"
durch Lukacs These von der Dominanz des tertium datur in der Kunst absichern zu
konnen, um seine Suche
nach einem Einseitigkeiten
vermeidenden Mittelweg theoretisch zu fundieren. Zentrales Anliegen des Essays
ist es, das
tertium datur als "dritten Faktor" und subjektive
Wahlmoglichkeit
, als Ausweg bei Konflikten und Widerspruchen zwischen mehr
als nur zwei Alternativen in die Dialektik zu integrieren, da
Entweder-oder-Situationen" in der Kunst selten und in der Geschichte nicht
immer die Regel waren, sondern: der
Kompromiss.
Damit erklart Hauser den
Geschichtsprozess als einen fortwahrenden Interessenausgleich, der soziale
Widerspruche bandigen kann. So markiert der Essay bezeichnende Unterschiede in
der
Dialektikauffassung
und politischen Parteinahme
zwischen dem engagierten Kommunisten Lukacs und den um politische Neutralitat
bemuhten Hauser.
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Dass
der kunstlerische Schaffensprozess als Kompromiss interpretiert wird, als
bestandige Wechselwirkung mannigfaltiger Motive und Momente, die sich im
Kunstwerk manifestieren, schutzt vor einem Verabsolutieren der
Inhalt-Form-Einheit und gibt den Weg frei zur Analyse "offener"
Kunstwerke, in denen beispielsweise das Montageprinzip auf eine beabsichtigte
Inkommensurabilitat der Werkteile, etwa beim Absurden, hinauslauft. Indem
Hauser auch die Subjekt-Objekt-Dialektik kunstlerischer Produktion und
Rezeption anerkennt, tragt er der Dynamik des gesamten Kunstprozesses Rechnung.
Der
Kreis ist geschlossen:
Wissenssoziologischer Ansatz, die These von der
Paradoxie der Kunst und das methodische Prinzip des tertium datur
vereinigen sich im Streben nach Totalitatserkenntnis und gedanklicher
Widerspruchsbewaltigung des komplexen Kunstprozesses. Mit der Erweiterung des
Kunstbegriffs wird Hauser dem Realprozess weitgehend gerecht und berucksichtigt
beispielsweise die "Pop-Musik" (Beatles), die "Pop-Malerei"
(Roy Lichtenstein, Andy Warhol, Robert Rauschenberg) und Happenings. Das war
Anfang der siebziger Jahre ein Novum und ist in den akademischen
Kunstwissenschaften wohl heute noch nicht die Regel. Das offene Kunstkonzept
Hausers bewahrt ebenso den Wunsch nach (extensiver) Totalitat des
wissenschaftlichen Erkennens trotz voranschreitender Entfremdung.
Erklartermaßen distanziert er sich sowohl von der Erkenntniszuversicht und dem
Geschichtsoptimismus marxistischer Provenienz als auch von gegenlaufigen
Theorien, die beispielsweise die Entfremdungsproblematik hypertrophieren, wenn
er schreibt, "die Gefasstheit von ... Lukacs ist nicht weniger ideologisch
beschrankt als die Angst Adornos" (
SdK
, S. 784). Dahinter verbirgt
sich, neben der wissenssoziologischen Einstellung, die Erfahrung von
vorubergehender Konfliktlosung und fortschreitender Kunstentwicklung trotz viel
beschworener allgemeiner Krise des Kapitalismus. Hausers Mittelweg mag
fragwurdig erscheinen, doch fuhrte sein wissenssoziologisches Vorgehen in
seiner kunstsoziologischen Theorie wie in den kunsthistorischen Arbeiten
zu recht
produktiven Ergebnissen. (Selbst im Politischen
kann sein tertium datur,
das
in dieser Hinsicht von
einem "allgemeinen Liberalisierungsprozess"
[SdK,
S. 154]
ausging, aus heutiger Sicht - 1988/89 - als realistisch eingeschatzt werden.)
Bei aller anzubringenden Kritik zeugt Arnold Hausers Kunstkonzeption von beeindruckendem
Gedankenreichtum, außergewohnlicher Kunstkenntnis und immenser
Dialogbereitschaft.
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Anmerkungen
(
Die
Fußnoten sind bei der Umwandlung in
html
verschwunden
... sollen aber dennoch stehen bleiben)
1.
Arnold Hauser: Sozialgeschichte der Kunst und Literatur, Teil I
und II, Munchen 1953. Die englische Ausgabe erfolgte bereits im Jahre 1951.
2.
Vgl. Karl Max Kober: Gesprach uber Probleme der
Kunstgeschichtsschreibung. In. Weimarer Beitrage, 9/1984, S. 1454.
3.
Arnold Hauser: Sozialgeschichte der Kunst und Literatur, 2 Bde.
(Fundus-Bucher: Bde. 106/107 und 108/109/110), Dresden 1987, In dieser Ausgabe
fehlt bedauerlicherweise das Schlusskapitel "Im Zeichen des Films",
in dem Hauser entsprechende Tendenzen der burgerlichen Kunst bis kurz nach dem
zweiten Weltkrieg verfolgt.
4.
Arnold Hauser: Philosophie der Kunstgeschichte, Munchen 1958, S. 1
(nachfolgend abgekurzt:
PdK
).
5.
Georg Lukacs, in: Arnold Hauser: Im Gesprach mit Georg Lukacs,
Munchen 1978, S. 12.
6.
Christian
Gneuss
, in:
Ebd
., S. 39.
7.
Soziologische Exkurse, in: Frankfurter Beitrage zur Soziologie,
Bd. 4,
hg
. von Theodor W. Adorno und Walter Dirks,
Frankfurt/Main 1956, S. 93f.
8.
Martha Mierendorff, Heinrich Tost: Einfuhrung in die
Kunstsoziologie, Koln-Opladen 1957, S. 16 f.
9.
Norbert Schneider: Kunst und Gesellschaft: Der
sozialgeschichtliche Ansatz, in: Kunstgeschichte. Eine Einfuhrung, Berlin
1986, S. 247 f.
10.
Vgl. Anm. 4 (spaterer Titel der
PdK
.
Methoden moderner Kunstbetrachtung).
11.
Arnold Hauser: Der Manierismus. Die Krise der Renaissance
und der Ursprung der modernen Kunst (spaterer Titel: Der Ursprung der modernen
Kunst und Literatur. Die Entwicklung des Manierismus seit der Krise der
Renaissance), Munchen 1964.
12.
Arnold Hauser: Soziologie der Kunst, Munchen 1983, S. XII
(nachfolgend abgekurzt: SdK).
13.
Der kleine Sammelband enthalt drei Radiogesprache, den Essay
Hausers Variationen uber das tertium datur bei Georg Lukacs und ein Nachwort
von Peter Christian
Ludz
.
14.
Vgl. Karl Mannheim: Ideologie und Utopie, in: Schriften Zur
Philosophie und Soziologie, begrundet von Max Scheler,
hg
.
von Karl Mannheim, Bd. III, Bonn, 1929 und
PdK
,
S. 1-18.
15.
Vgl. Karl Mannheim: Die Gegenwartsaufgaben der Soziologie.
Ihre Lehrgestalt, Tubingen 1932, S. 51 f.
16.
Jurgen Scharfschwerdt: Arnold Hauser, in: Klassiker der
Kunstsoziologie,
hg
. von Alphons Silbermann, Munchen
1979, S. 265 (Anm. 52) und S. 202.
17.
Ekkehard Mai- Kunst, Kunstwissenschaft und Soziologie. Zur
Theorie und Methodendiskussion in Arnold Hausers Soziologie der Kunst",
in: Das Kunstwerk, 1/
1976,S.
4 f.
18.
Laszlo
Barlay
: Wissenssoziologie als Kulturgeschichte? Zu
Arnold Hausers "Sozialgeschichte der Kunst und Literatur“, in: Sinn und
Form, 3/1972, S. 632-644.
19.
Raterepublik und Kultur. Ungarn 1919,
hg
.
von Jozsef Farkas, Budapest 1979, S. 290.
20.
Zoltan
Halasz
: In Arnold Hauser’s workshop, in: The new Hungarian
quarterly,
Budapest
,
58/1975, S. 94.
21.
Theoretische
Ansatze der Kunstsoziologie, in: Kunst und Gesellschaft, Bd. 9,
hg
. von Alphons Silbermann, Stuttgart 1976, S. 2 ff.
22.
Vgl. Jurgen Scharfschwerdt, a. a. 0.
23.
Heinz
Quitzsch
:
Kulturgeschichte
als Kunstsoziologie. Arnold Hausers Erganzung der Kunstwissenschaft, in:
Zur Kritik der burgerlichen Kunstsoziologie in Deutschland' Habil.-Schrift,
Greifswald 1966; Hans-Ulrich
Beyer:
Sozialgeschichte und
Kunstgeschichte. Zur Kritik der theoretischen Konzeption einer Kunstgeschichtsschreibung
von Arnold Hauser,
Diss
. A, Leipzig 1985; K.-J.
Lebus:
Kritik theoretischer Grundpositionen der Kunstsoziologie Arnold Hausers,
Diss
. A, Greifswald 1986.
24.
Arnold Hauser: Im Gesprach mit Georg Lukacs, a. a. 0., S. 43. -
Der Klassenkampf um die Besitzverhaltnisse an den Produktionsmitteln bildet fur
Hauser die "Grundtatsache des gesellschaftlichen Lebens" (SdK, S. 225
f.). Eine klare begriffliche Bestimmung von Produktionsweise,
Produktionsverhaltnissen und Produktivkraften unterbleibt, "Klasse" entspricht
"Vermogensklasse". Hauser will sich nicht nur von einem
"einseitigen Okonomismus" abstoßen, sondern zugleich von dem
"geschichtlichen Determinismus" marxistischer Theorie (SdK, S. 201),
vor allem der Voraussage kunftiger Entwicklungen, da er in diesem Falle
objektive sozialokonomische Gesetzmaßigkeiten ausschließt. Hauser unterstreicht
die aktive Rolle des Bewusstseins, die relative Autonomie kunstlerischer
Erscheinungen und die relative Selbstandigkeit des ideologischen Uberbaus
uberhaupt.
25.
Vgl. Walter Ziegenfuß zum Stichwort
"Kunstsoziologie", in: Handworterbuch der Soziologie,
hg
. von Alfred
Vierkandt
,
Stuttgart 1931, S. 308.
26.
Arnold Hauser: Im Gesprach mit Georg Lukacs, a. a. 0., S. 70, und
SdK, S. 57 ff.
27.
Karl Mannheim: Die Gegenwartsaufgaben... a. a. 0., S. 23 f.
28.
Arnold Hauser: Der Manierismus.... a. a. 0., S. 89 f.
29.
John Erpenbeck: Was kann Kunst? Gedanken zu einem
Sundenfall, Halle-Leipzig 1979, S. 114 ff.
30.
Michael Franz: Aneignungsfunktion und Sinnfrage, in: Weimarer
Beitrage, 1/1989, S. 51.
31.
Theodor W. Adorno: Asthetische Theorie, in: Adorno: Gesammelte
Schriften, Bd. 7, Frankfurt/Main 1970, S. 387.
32.
Vgl. dazu Erwin Pracht [
Ltg
.]: Asthetik
der Kunst, Berlin 1987, S. 235.
33.
Vgl. ebd., S. 124. - Ein enger und wertender Kunstbegriff ist eben
nur schwer abzulegen, das bestatigen analoge Schwierigkeiten in der
marxistischen Kunsttheorie und Asthetik. Da die Massenkunst und andere
Kunstphanomene selbstverstandlicher Bestandteil heutiger Lebensweise sind,
werde das "Kunstverstehen" immer mehr zu einem Problem traditioneller
Kunstwissenschaften, wurde jungst lakonisch festgestellt.
34.
Theodor W. Adorno: Asthetische Theorie, a. a. 0., S. 54.
35.
Hans Peter Thurn: Kritik marxistischer Kunsttheorie, in: Kunst und
Gesellschaft, Bd. 7, Stuttgart 1976, S. 2.
36.
Georg Lukacs: Die Eigenart des Asthetischen, Bd. 2, Berlin und
Weimar 1981, S. 635 ff.
37.
Theodor W. Adorno: Asthetische Theorie, a. a. 0., S. 525
38.
Arnold Hauser: Der Manierismus..., a. a. 0., S. 13.
39.
SdK, S. 444 [Hervorhebung - K.-J. L.].
40.
Arnold Hauser: Im Gesprach mit Georg Lukacs, a. a. 0., S. 87-90;
vgl. auch SdK, S. 436 ff.
41.
Ich verweise auf Lukacs und Adorno nicht ohne Grund, denn an
anderer Stelle formuliert Hauser, er fuhle sich zwischen beiden geborgen und
verdanke beiden gleich viel (Im Gesprach mit Georg Lukacs, S. 81). Trotz
gewichtiger Unterschiede gibt es viele Beruhrungspunkte in ihren theoretischen
Ansichten (und zum Teil in ihren Biographien). An dieser Stelle soll wenigstens
auf folgendes hingewiesen werden: Hauser will sich nicht nur hinsichtlich der
gesellschaftlichen Zukunftsprognosen und politischen Ambitionen zwischen Lukacs
und Adorno platziert wissen und versucht, sich im Spannungsfeld zwischen
wissenschaftlichem
Totatitatsideal
und
Entfremdungsprozess zu behaupten. Gleichermaßen vermittelnde Positionen
vertritt er in Fragen des klassischen kunstlerischen Erbes (von Lukacs
verabsolutiert), der Moderne und des "offenen" Kunstwerkes (von
Adorno verabsolutiert) sowie in seiner
Realismusauffassung
.
Abschließend sei die These gewagt, dass in Hausers Kunstkonzept auch die
Vermittlungsabsicht zwischen den kunstasthetischen Ansichten von Adorno und
Lukacs eingeschrieben ist.
Der Text von 1989 ist
urheberrechtlich geschutzt, veroffentlicht und
bekannt !
P. S.
Diesen Beitrag habe ich
- noch
im
Spannungsfeld des Ost-West-Konflikts 1989 - geschrieben und er ist aus heutiger
Sicht an einigen Stellen zweifellos verbesserungsbedurftig. Dennoch …
Zur positiven
Resonanz gehort die Anmerkung Gunter OTTOs in "Kunst + Unterricht
152/1991, S. 5:
"In den WEIMARER
BEITRAGEN, Heft 6/1990, - wer weiß, wie lange es sie noch gibt - findet sich
eine sorgfaltige Rekonstruktion der methodologischen Pramissen und der
Wirkungsgeschichte von Arnold HAUSER ... durch ... K.-J. Lebus. HAUSER
... tritt nicht nur als interdisziplinarer Forscher, sondern auch als
unabhangiger Denker in Erscheinung."
Autor:
Dr.
Lebus
(
1989/90)